Het revolutionaire denken in actie

Libera di essere
“Hij die een zoon verwekt is nog geen vader, een vader is hij die een zoon verwekt en zich hem waardig toont.” – De gebroeders Karamazov, Fedor Dostojevski



Tom Schimmeck

 
Der Versuch mutet eigenwillig an: Zeit, Leben, Denken und Handeln eines Menschen in eine gezeichnete Geschichte zu packen, eine Graphic Novel. Hier ist er ein Glücksfall. Schon weil sein Subjekt Frantz Fanon – Psychiater, Philosoph, Poet, Diplomat, Revolutionär – so einzigartig ist. Und weil Fanons zentrales Thema zurück ist: der Kolonialismus und seine Verheerungen. Im Kampf gegen die globale Ungleichheit, Despotentum, Rassismus und Gewalt wirkt das koloniale Erbe wieder allgegenwärtig. Ebenso wie die für uns im reichen Westen so unbequeme Erkenntnis, dass unser Wohlstand, unser Hochmut, unser manischer Konsum, unsere durchtriebene Gleichgültigkeit, unser rasanter Ausstoß von Treibhausgasen eng mit der – mit „unserer“ – Kolonisierung der Welt verwoben sind.

Fanon ist vor allem für sein Hauptwerk und Vermächtnis berühmt: „Les Damnés de la terre“ – „Die Verdammten dieser Erde“, geschrieben kurz vor seinem frühen Tod 1961. Eine scharfe, oft brillante, zornige und zugleich präzise Analyse kolonialer Macht und die Suche nach Wegen, diese individuell und kollektiv zu besiegen. Bei Revolutionären in Afrika, Asien, Lateinamerika, ja selbst bei den Black Panthers in den USA war Fanon Pflichtlektüre. In Deutschland erscheint diese Krankenakte des weiß-westlichen Bewusstseins bei Suhrkamp und im damals progressiven Rowohlt Verlag. Das Buch wurde in 17 Sprachen übersetzt, allein in Frankreich verkaufte der Handel bis 1968 150 000 Exemplare.

„Der Wohlstand und der Fortschritt Europas sind mit dem Schweiß und den Leichen der Neger, der Araber, der Inder und der Gelben errichtet worden. Wir haben beschlossen, das nicht mehr zu vergessen“, schreibt Fanon darin. Europa, befand er vor sechzig Jahren, liefere keine Inspiration und kein taugliches Modell. Die „Dritte Welt“ müsse folglich versuchen, „die Probleme zu lösen, die dieses Europa nicht hat lösen können“, um etwas Eigenes, Neues zu kreieren. „Für Europa, für uns selbst und für die Menschheit, Genossen, müssen wir eine neue Haut schaffen, ein neues Denken entwickeln, einen neuen Menschen auf die Beine stellen.“

Fanons Texte erleben heute, im Kontext der Debatten über Dekolonialisierung, eine Renaissance. „Ich glaube, sein Vermächtnis ist kolossal“, meint der Autor der nun erschienenen Graphic Novel, Frédéric Ciriez. „Sein Denken hat sich eine Art globalen Raum erobert. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Fragen, die er auf seine Weise gestellt hat und sozusagen physisch durchschritten hat, heute die unsrigen sind.“ Sein Wunsch: Den Nachwachsenden ein Gefühl für diese Zeit und ihr Streben zu geben, für Fanons „Denken in Aktion“.
 

»Befreier, das ja – aber schwarz und französisch«

Frantz Fanon kam 1925 als fünftes der acht Kinder von Eléonore und Casimir Fanon auf Martinique in der Karibik zur Welt, damals eine französische Kolonie, noch heute ein sogenanntes Übersee-Département. Der Vater war Zollinspektor. Die Familie lebte in bescheidenem Wohlstand. Frantz kam aufs Gymnasium, las viel und glänzte beim Fußball.

Im Jahr 1943, Fanon war 17 Jahre alt, wollte er sich der Freien Französischen Armee anschließen, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Das aber gestaltete sich als schwierig, weil auf Martinique ein Admiral der Vichy-Regierung herrschte. Mit Hilfe von Schleusern gelangte Fanon auf die britische Nachbarinsel Dominica, absolvierte dort eine Grundausbildung, mit mäßigem Erfolg. Seine Beurteilung: „Nullachtfünfzehn-Soldat. Ohne militärischen Geist. Handelt sich immer wieder Ärger ein.“ Im Jahr darauf kam er via Casablanca mit der Première Armée française nach Europa, wurde im Kampf um Colmar verwundet, erlebte Rassismus – bei Befreiern wie Befreiten. Die Amerikaner wurden bejubelt, notierte er: „Wir nicht. Befreier, das ja. Aber schwarz und französisch.“

Nach dem Krieg studierte Fanon Medizin und Philosophie in Lyon. Dort gab es Jazz und Blues, Theater und Kino, Hegel und Sartre sowie die Liebe zu Jolie. 1952, Fanon wurde gerade 27 Jahre alt, erschien sein erstes Buch: „Schwarze Haut, weiße Masken“. Eine vielfältige, oft subtile Erkundung des kolonisierten Menschen und seiner Entfremdungserfahrung, die buchstäblich „unter die Haut“ geht. Die aufzeigt, wie sehr sich Unterdrücker und Unterdrückte, gefangen in ihren Positionen von Macht und Ohnmacht, komplementär neurotisch verhalten. Das Buch gilt heute als Klassiker der politischen Philosophie, oder vielleicht besser: Psychologie. In ihm zeigt sich auch, wie sehr der Doktor und Denker auch Schriftsteller ist, getragen von der Wucht der Sprache. Die Begriffe, schrieb Fanon seinem ersten Lektor, „sind für mich mit Bedeutung aufgeladen. Ich fühle mich unfähig, dem Biss eines Wortes, dem Schwindel eines Fragezeichens zu entkommen.“

1953 ging Fanon als Leiter der psychiatrischen Abteilung einer Klinik nach Algerien, studierte die Psyche der Kolonisierten intensiver. Drei Jahre später legte er den Posten nieder, aus politischen Gründen, auch aus Protest gegen eine Psychiatrie, deren Vordenker Antoine Porot formuliert hatte: „Der nordafrikanische Eingeborene, dessen Großhirnrinde wenig entwickelt ist, ist ein primitives Wesen, dessen im Wesentlichen vegetatives und instinktives Leben hauptsächlich durch das Zwischenhirn gesteuert wird.“

Prompt wurde Fanon der Kolonie verwiesen. Er sprach auf dem ersten Kongress der schwarzen Schriftsteller und Künstler in Paris und schloss sich Algeriens Nationaler Befreiungsfront FLN in Tunis an, arbeitete in medizinischen Zentren der Befreiungsbewegung in der Grenzregion, wo er verletzt wurde, als sein Jeep auf eine Mine fuhr. Als Gesandter der provisorischen algerischen Regierung bereiste er die ersten unabhängigen Staaten Afrikas südlich der Sahara. Sein 1959 erschienenes Buch „Im fünften Jahr der algerischen Revolution“ wurde in Frankreich sofort verboten.

Frédéric Ciriez hat Fanons Leben und Denken über viele Jahre recherchiert. Er traf die beiden Kinder, sprach mit vielen Weggefährt*innen in Frankreich, Martinique, Algerien. Tief beeindruckte ihn Marie-Jeanne Manuellan, Fanons Assistentin im Krankenhaus in Tunis. Ihr hatte der Revolutionär, bereits an Leukämie erkrankt, „Die Verdammten“ in den Block diktiert, jeden Morgen von 7 bis 9 Uhr. Anfangs erlebte sie ihn als verschlossen und getrieben, voller Verachtung für die Franzosen, zugewandt nur den Denkern, Kämpfern, Folteropfern. Er sagte Manuellan: „Sie sind mein Diktiergerät“. Später feierten sie zusammen Weihnachten.

Manuellan sah ihn auch an jenem Tag im August 1961, als Fanon abreiste, um Jean-Paul Sartre in Rom zu treffen, der das Vorwort zu „Die Verdammten dieser Erde“ schreiben sollte. Diese Begegnung, drei Tage mit Sartre, Simone de Beauvoir und dem Filmemacher Claude Lanzmann, stehen im Zentrum der Graphic Novel. Das Quartett zieht durch Restaurants und Bars und debattiert die großen Fragen: Herrschaft, Befreiung, Bewusstsein, Gewalt. Sartre wirkt fasziniert von diesem „revolutionären Psychiater“, wie es in einer Gedankenblase heißt, von diesem „überschwänglichen Mann von großem Ernst, der in keine Schublade passt.“ An wen sich sein Buch richte, fragt de Beauvoir. „An alle, die Algerien lieben und in ihm die Möglichkeit einer konkreten Utopie sehen.“, antwortet Fanon. „An die französische Linke, die noch nie durch besonderen Mut aufgefallen ist… An Sie, Sartre.“

Frédéric Ciriez und der Journalist und Illustrator Romain Lamy haben eine Art intellektueller Biographie geschaffen, eine Zeitreise in Comicbildern, die uns in verschiedene Lebensstationen Fanons springen lässt, untermalt von den großen Debatten jener Zeit. Sie spiegelt ein Leben auf den Bruchlinien des vergangenen Jahrhunderts.

Fanon starb mit 36 Jahren in einem Washingtoner Krankenhaus, Tage, bevor sein Werk herauskam, Monate vor der Befreiung Algeriens, bewacht von der CIA. Die „Verdammten“ erschien Ende 1961 im kleinen linken Pariser Verlag Maspéro, die Graphic Novel ermöglichte dessen Nachfolger La Découverte. Die Hamburger Edition, der Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung, der die deutsche Fassung herausgebracht hat, platziert ganz hinten und doch recht prominent einen Satz aus den „Verdammten“: „Jede Generation muss in einer relativen Finsternis ihre Mission entdecken und sie entweder erfüllen oder verraten.“ Auch dies ist brandaktuell.
 
Frédéric Ciriez und Romain Lamy, Frantz Fanon. Aus dem Französischen von Michael Adrian, Hamburger Edition, 232 Seiten, 25 Euro.
 




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