Het bloed van de anderen

Steve Fitch: Motel, Highway 66, Elk City, Oklahoma (1973)




Sinds de enscenering van de Eerste Golfoorlog door Bush sr, een oorlog waarvan Baudrillard zich afvroeg of hij wel plaatsgevonden had, wordt nu, ondanks alle technische verworvenheden, het eerder ouderwets aandoende theatrale aspect benadrukt, zeker in de persoon Zelensky, die onvermoeibaar in touw is met zijn rol als president. Opmerkelijke observaties over hoe de oorlog in de Oekraïne in de markt gezet wordt vallen in een editorial van W.F. Haug in Das Argument te lezen. Het zeer uitvoerige essay handelt hoofdzakelijk over geopolitieke kwesties, m.n. in relatie met China en Rusland. De paragraaf over de media neem ik hier over. Het geheel valt te lezen op de site van het Berliner Institut für kritische Theorie.
 


 
 

WOHER UND WOHIN DIE WUCHT?

Wolfgang Fritz Haug

 

Die Ästhetisierung des Krieges ist eine falsche Anwendung der Einbildungskraft. […] An die Stelle von Ästhetisierung muss mit voller Empathie und Emotion das hierfür notwendige Unterscheidungsvermögen in unseren Öffentlichkeiten geschärft werden.
Alexander Kluge (2.3.22)

Mit Benjamins Kunstwerk-Aufsatz könnten wir von der »Ausstellbarkeit« (GS I.2) dieses Kriegs sprechen, die über die Medien ausgespielt wird. Gehen wir näher
heran, sehen wir, dass es nicht eigentlich ›der Krieg‹ ist, was uns gezeigt wird, sondern unser Blick ist über den gezeigten Anblick ›eingebettet‹. Der Krieg wird nicht so sehr ausgestellt, als dass wir in ihn eingestellt werden. Es ist embedded journalism. Es ist unser Krieg, auch wenn nicht unser Blut, sondern das Blut der anderen fließt. Noch im Abstoßenden, das gezeigt wird, sind es mitreißende Bilder. Magisch machen sie uns zu mitfiebernden Gefühlspartisanen dieses Krieges. Während Brecht von seinen Schauspielern verlangte, ihr Zeigen mitzuzeigen, um die Zuschauer nicht in Einfühlung zu verschlingen und der Identifizierung mit den gezeigten Akteuren durch Distanzierung entgegenzuwirken, ist hier das Zeigen kein Gegenstand für uns, sondern wir sind sein Gegenstand und werden in die Unmittelbarkeit des Einfühlens gerissen. Wir sind auf Seiten der Guten gegen das Böse. Für alle Menschen, denen an ihrer Freiheit liegt, führen ›die Ukrainer‹ diesen Krieg. Ist es ›unser‹ Stellvertreterkrieg? ›Krieg essen Seele auf‹, könnten wir in Anspielung auf Rainer Werner Fassbinders berühmten Film Angst essen Seele auf (1973) sagen. Was die Satiresendung Die Anstalt vor Jahren in einer berühmt gewordenen Folge, erarbeitet auf Grundlage solider Forschungen an den Universitäten Würzburg und Leipzig, auf den Arm genommen hat, die atlantizistische Penetration der deutschen Medienlandschaft, hier wirkt sie sich aus als einschüchternd einheitliche Orchestrierung.


Die USA, deren Regierung dem online-kapitalistischen Strukturwandel der Öffentlichkeit folgend selbst die TikTok-Meinungsführer in die aktuelle Kriegsbildprägung einbezieht, 1  lieferten das Vorbild dessen, was man parlamentarische Kriegsbild-Erstattung nennen könnte: Der Tagungsraum des US -Senats verwandelte sich in eine Mischung aus Kultraum und Kino oder beides zugleich als Messestand. Auf einem riesigen Bildschirm, links und rechts je zwei US -Flaggen, das schaurig-schöne Schauspiel eines gewaltigen Feuers. Kein brennendes Etwas, sondern das Absolutum des vernichtenden Brennens. Die Frankfurter Allgemeine, die es zum Titelbild der Ausgabe vom 17. März 2022 machte, titelte in der Bildlegende: »Selenskyjs Mittel«. Dazu das fachmännische Urteil: »Und der ukrainische Präsident weiß, wie er seinen Botschaften Nachdruck verleiht. […] Den Volksvertretern spielte Selenskyj in seiner Videobotschaft Bilder vom Grauen des Krieges ein.« Was er damit erreichen wollte, war ein militärischer Eingriff in Gestalt eines Luftkrieges der us-geführten NATO gegen Russland. Das aber hätte, wie uns (und bislang auch der US -Führung) der gesunde Menschenverstand sagt, vollends das Zeug, den nuklearen Weltenbrand zu entzünden.

Die FAZ fragt nicht, wer dem ukrainischen Präsidenten diese Bühne eingerichtet hatte. Und wir wissen nicht, was in den Köpfen der Senatsmitglieder vorging. Mit ihrem stehenden Beifall am Ende gaben sie den Parlamenten, die sich dieser so noch nie gekannten Propaganda-Aktion mit analogen virtuellen Auftritten des ukrainischen Präsidenten anschlossen, das Maß vor. Zunächst dem deutschen. Hier ging nächsten Tages das Kalkül in besonders einschneidender Weise auf. Selenskyj sparte nicht mit Kritik an der mangelnden militärischen Unterstützung der Bundesrepublik. Den Meißel seiner Rhetorik aber richtete er auf die für die Bundesrepublik formell konstitutive Formel des Nie wieder!, bezogen auf die nazistische Erfahrung. »Nie wieder Nie wieder!« – in diesen Appell ans deutsche Parlament zur Absage an das, was historisch den Geist der bundesdeutschen Verfassung ausmacht, mündete die Rede des ukrainischen Präsidenten. Die Abgeordneten aber, einschließlich der Regierung, spendeten stehend Beifall.

Beifall auch von der Frankfurter Allgemeinen, die bereits vor Beginn des Krieges Züge eines rechten Kampfblatts angenommen hatte 2 : »Selenskyj setzte – schonungslos – den Hebel dort an, wo er in Deutschland die größte Wirkung hat: bei der Frage, welche Verpflichtungen aus den Verbrechen und Fehlern der Vergangenheit erwachsen. Noch nie bekam der Bundestag von einem Gast zu hören, das ›Nie wieder!‹ sei ›einfach nichts wert‹. Nord Stream 2 sei kein wirtschaftliches Projekt, sondern eine ›Waffe‹ und der ›Zement der Mauer‹, die mit deutscher Hilfe in Europa errichtet werde. Diese Vorwürfe müssen Bundeskanzler Scholz und vielen weiteren Zuhörern im Saal oder im Ruhestand in den Ohren gedröhnt haben wie Geschützfeuer.« (Kohler, 18.3.22) Soweit und zufrieden die FAZ.

Wer aber, ist zu fragen, wird hier von wem und in welcher Absicht den Tantalusqualen ausgesetzt, sein derart aufgestacheltes Verlangen nach einem Kriegseintritt frustriert zu finden? Wohin treibt die dadurch aufgestaute Spannung? In welchen Formen wird sie sich entladen? Vielfach erfahren wurde, dass der Druck bei kritisch reflektierten Geistern zur Zensur, oft auch zu vorsichtiger Selbstzensur in Form des öffentlichen Verstummens geführt hat.

Wie in dieses mit emotionalem Hochdruck geladene Getümmel hineinreden? Wir spüren die Einschüchterung. Verstummen wollen wir nicht. Müssen wir doch, geleitet vom Mitgefühl mit der ukrainischen Bevölkerung und zugleich auch von den Studien zum aktuellen Weltordnungsringen, aussprechen, dass das Grauen des Krieges, dem die ukrainische Bevölkerung sich im antagonistischen Alles-oder-nichts-Zusammenwirken der Kriegsparteien auf Verderb ausgeliefert findet, im strategischen Kalkül der USA nur ein Nebenschauplatz im Ringen mit China und im selben Aufwasch eine Redisziplinierung der europäischen NATO-Staaten ist. 3 Und dass es, wie Sartre und Beauvoir ihrerzeit festgestellt haben, den Faschisten gemäß wäre, das ›Volk‹ seiner nationalen Größe zu opfern.

Dieses geopferte Volk erhält jetzt seinen ästhetischen Ausdruck um den Preis seines Rechtes auf Leben. Und dieser ästhetisierte Ausdruck schlägt nicht nur die europäischen Völker in den Bann des Krieges und des Opferns, sondern die Folgen treffen die ärmeren Schichten und Länder fast weltweit. Ein Reich der Lüge auf den Flügeln des missbrauchten Mitleidens und Mitfieberns tut sich auf: die Zivilgesellschaft aufbrausend für ihr militärisches Entmächtigtwerden, die zugleich ökonomische und sozial-ökologische Enteignung für sie bedeutet.


VOETNOTEN
1. Angesichts des Aufstiegs der Plattform TikTok zu einer »dominanten Nachrichtenquelle« der jungen Generation beauftragte die US-Regierung »Gen Z for Change«, eine Nonprofit-Anwaltsgruppe damit, TikToks Spitzen-Beeinflusser zwecks »Briefing« zum Ukraine-Konflikt und der Rolle der USA darin auf ihrer Online-Plattform zusammenzurufen (Lorenz, 11.3.22).
2. Erhard Crome hat an einem Beispiel von Hass-Journalismus vorgeführt, wie in der FAZ über Textverfälschung durch dekontextualisierte Zitatstücke »ausgerechnet Rosa Luxemburg für Putins Krieg gegen die Ukraine in Haftung« genommen wurde (März 22): Ihre Kritik von 1918 an der Abschaffung der Demokratie in Russland durch die Bolschewiki mit dem Argument, dass »eine Diktatur allerdings« entstehen werde, aber nicht die des Proletariats, sondern »einer Handvoll Politiker, d. h. Diktatur im rein bürgerlichen Sinn, im Sinne der Jakobinerherrschaft« (Luxemburg GW 4, 362), wird als »Hetzschrift« (Klimeniouk, 24.2.22) verlästert und dazu noch dem Ruch des Rassismus ausgesetzt. Aber warum? »Die polnische Jüdin, von deutschen Rechten ermordet, soll nun den ukrainischen National-Propagandisten nicht im Wege stehen.« (Crome, März 2022)
3. »Über die eigenen Fehler, die eigenen Provokationen und Aggressionen, die Putin in die Ecke getrieben haben, redet keiner. Man glaubt, jetzt haben wir ›Putin im Sack‹. Doch könnte man sich auch fragen, ob die NATO Putin nicht vielleicht gezielt in diese Ecke getrieben hat, aus der er nur mit Gewalt wieder herauskommen konnte.« (Paech, 28.2.22) – Joe Lauria (27.3.22) holt zur Bestätigung dieses Verdachts die befugte Stimme des US-Präsidenten in den Zeugenstand: Bei der Pressekonferenz am 24.2.22, dem ersten Tag der Invasion, wurde Biden gefragt, warum er glaube, neue Sanktionen würden wirken, da die bisherigen Sanktionen den russischen Einmarsch nicht verhindert hatten. Biden antwortete: »No one expected the sanctions to prevent anything from happening«. Und weiter: »That has to sh[…!] — this is going to take time. And we have to show resolve, so he knows what’s coming and so the people of Russia know what he’s brought on them. That’s what this is all about.« – Einen Monat später wiederholte Biden diese Auskunft bei der brüsseler NATO-Tagung: »Let’s get something straight … I did not say that in fact the sanctions would deter him. Sanctions never deter.« – Lauria schließt daraus, dass der Zweck der drakonischen Sanktionen niemals die Verhinderung der russischen Invasion der Ukraine gewesen sei, sondern »Russland zu bestrafen und seine Bürger dazu zu bringen, gegen Putin aufzustehen und letztlich wieder ein Marionettenregime à la Jelzin einzusetzen. Ohne Anlass hätten jene Sanktionen niemals auferlegt werden können. Der Anlass war Russlands Invasion.« (27.3.22) Laurias Annahme werden Historiker dereinst prüfen können. Doch jene abgefeimte Intrigenwendung des dialektischen Grundsatzes, Ausgangspunkte ihrerseits als Resultate zu begreifen, muss man zum Verständnis der Weltordnungsintrigen der Gegenwart wohl schon jetzt lernen.


 

 

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