Wat is een mens?

Jules Séeberger: View of the intersection of Rue Saint-Vincent and Rue des Saules in Montmartre, Paris, ca. 1904




Een dier met geest, met werktuigen. Een dier dat moord om te moorden, een dier dat alles verslindt om macht en bezit te verwerven? Een dier dat tegen zijn belangen handelt omdat het hem bevolen wordt? In wezen een parasiet?
 
Lees Musil, lees Céline, lees Kafka. Alledrie schreven vanuit de ervaring van de Grote Oorlog. Het bleek de eerste te zijn in een serie die voortduurt. De mens een rationeel wezen? Vergeet het. Een liefdevol wezen, een sociaal wezen, een muzisch wezen?
 
 

 

„Die Moderne, das eigentliche Thema des Romans und der Blickpunkt, von dem aus Musil schrieb, zeigte sich schon in diesem Jahr 1913 in unzähligen Brechungen eines immer grelleren Lichts.“

 

DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN

Robert Musils Klassiker entschlüsselt die Moderne

Philipp Sarasin

 

 
Der Schauplatz von Robert Musils Hauptwerk mit seinem merkwürdigen Titel, das zu den wichtigsten Romanen des 20. Jahrhunderts zählt, ist das Wien des Jahres 1913: die Hauptstadt von „Kakanien“, wie Musil die österreichisch-ungarische, kaiserlich und königliche Doppelmonarchie nannte, abgeleitet von ihrem amtlichen Kürzel k.u.k oder k.k. Der Roman beginnt „an einem schönen Augusttag“, also just ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Geschrieben in den 1920er Jahren, erschien dieses literarische Monument einer Epoche, die uns vordergründig so fremd zu sein scheint, dann 1930 und 1932 in zwei Bänden beim Rowohlt-Verlag. In der heute noch aktuellen Ausgabe sind diese beiden zu Lebzeiten Musils publizierten Teile zu einem rund tausendseitigen Band zusammengefasst, ergänzt um einen ebenso umfangreichen weiteren Band mit Textstücken aus dem Nachlass. An ihnen hat der Autor bis zu seinem Tod im Genfer Exil 1942 gearbeitet, ohne dass seine Erzählung an ein Ende gelangt wäre.
 
Vordergründig, wie gesagt, sind Kakanien und sein in bizarren bürokratischen und gesellschaftlichen Ritualen erstarrtes Machtzentrum Wien längst im Weltkrieg untergegangen und uns fern. Insofern ist es gewissermaßen eine Kulisse aus dem 19. Jahrhundert, vor der Musil die Widersprüche und Spannungen, das Zeitgefühl und die Existenzbedingungen von Menschen untersucht, die aus der noch verbliebenen Beschaulichkeit einer irgendwie „alten Zeit“ in die Moderne des 20. Jahrhunderts geschleudert wurden. Diese Moderne, das eigentliche Thema des Romans und der Blickpunkt, von dem aus Musil schrieb, zeigte sich schon in diesem Jahr 1913 in unzähligen Brechungen eines immer grelleren Lichts.
 
Es gibt daher auf den tausend Seiten nur eine einzige Stelle, an der der Weltkrieg kurz erwähnt und ein Blick in die 1920 Jahre geworfen wird. Der Erzähler tut es, beinahe ärgerlich, einer seiner Hauptfiguren, dem elitären, preußischen und jüdischen „Finanzmann“ Dr. Arnheim gegenüber, der sich im Stolz auf seine geschäftlichen, gesellschaftlichen und intellektuellen Erfolge nicht vorstellen kann, dass die Welt sich jemals grundlegend ändern werde – und zwar in Richtung einer modernen Massenkultur, die den moralischen Betulichkeiten des 19. Jahrhunderts den Staub in die Augen bläst: „[W]enn Arnheim“, so Musil in der Rolle des Autors, der das Heft in der Hand behält, „um einige Jahre vorauszublicken vermocht hätte, so würde er schon gesehen haben, dass neunzehnhundertzwanzig Jahre christlicher Moral, Millionen Tote eines erschütternden Krieges und ein deutscher Wald von Poesien, der über dem weiblichen Schamgefühl gerauscht hatte, es auch nicht um eine Stunde zu verzögern vermochten, als eines Tages die Frauenröcke und -haare kürzer zu werden begannen und die Mädchen Europas aus tausendjährigen Verboten sich für eine Weile nackt herausschälten wie die Bananen“. Die Anspielung auf die umjubelte US-amerikanische Tänzerin Josephine Baker und ihr sehr kurzes, die Nacktheit noch betonendes Bananenröckchen ist unüberhörbar. In Kakanien wäre ihr Auftritt undenkbar gewesen.

 

Kakanien

Im Zentrum des Romans steht Ulrich, ein junger, sportlicher, umfassend gebildeter Mann aus vermögendem Hause – sein ihm entfremdeter Vater ist Strafrechtsprofessor –, der nach einer kurzen Karriere als Offizier Mathematik studiert und bald auch wissenschaftlich auf sich aufmerksam macht. Doch schon in seinen frühen Dreißigern kann Ulrich sich nicht mehr vorstellen, sein ganzes Leben als Mathematiker zu verbringen – wozu auch? Er beschließt, „sich ein Jahr Urlaub von seinem Leben zu nehmen, um eine angemessene Anwendung seiner Fähigkeiten zu suchen“. Aus einer Kombination von väterlichen Bemühungen und unglücklichen Zufällen sieht er sich allerdings bald in eine neue Rolle gedrängt: Er wird ehrenamtlicher Sekretär der sogenannten „Parallelaktion“, die den Handlungsstrang des Romans bildet – ein Handlungsstrang allerdings, bei dem weder gehandelt wird noch überhaupt etwas geschieht. Die Parallelaktion ist eine Anstrengung höchster Kreise Wiens, das siebzigjährige Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph I. im Jahr 1918 vorzubereiten – „parallel“ wurde die Aktion genannt, weil ebenfalls 1918 beim ungeliebten preußischen Nachbarn das zum Glück für Österreich nur dreißigjährige Thronjubiläum von Kaiser Wilhelm anstand.
 
Während Ulrich eher distanziert auf das Treiben um ihn herum blickt, suchen die mit der Parallelaktion Betrauten unermüdlich nach einer wirklich ganz großen „Idee“, nach einer „Aktion“ oder einer „Tat“, um die Bedeutung und den Ruhm Franz Josephs als „Friedenskaiser“ und damit auch den Ruhm Österreichs vor aller Welt leuchten zu lassen. Aber ach, es kommt ihnen einfach nichts in den Sinn. Kein Vorschlag überzeugt, jede Idee erweist sich sogleich als abgedroschen, kein wirklich „großer Gedanke“ kommt je in Sicht. Das ist, als zutiefst ironischer running gag und never ending story, einerseits schlicht sehr komisch und ein schönes Bild für das zur leeren Hülle erstarrte Kakanien, wo nur noch „Seinesgleichen geschieht“ – also nichts.
 
Die vergebliche Suche nach einer alle „Völker“ Kakaniens vereinigenden Idee verweist andererseits aber als Metapher auf das eigentliche Thema des Romans: Die Moderne bietet keine „große Idee“ – im Singular – mehr, auf die sich alle einigen könnten. Die Salondame Diotima, eine entfernte Kusine Ulrichs, in deren Wohnung die Sitzungen zur Parallelaktion stattfinden und die sich mit Inbrunst in die Suche nach einem die Seele und das patriotische Gefühl gleichermaßen erhebenden „Gedanken“, nach „Idealen“ und „Wahrheiten“ wirft, hätte sich, so Musil, „ein Leben ohne ewige Wahrheiten niemals vorzustellen vermocht“ – „aber nun bemerkte sie zu ihrer Verwunderung, dass es jede ewige Wahrheit doppelt und mehrfach gibt“. Zu jedem noch so edel gemeinten Vorschlag gab es einen Gegenvorschlag, jede Idee begegnete einer entgegengesetzten. Es war dies, heißt es an einer Stelle, „die bekannte Zusammenhangslosigkeit der Einfälle und ihre Ausbreitung ohne Mittelpunkt, die für die Gegenwart kennzeichnend ist und deren merkwürdige Arithmetik ausmacht, die vom Hundertsten ins Tausendste kommt, ohne eine Einheit zu haben.“ Im Salon Diotimas, wo sich die führenden Geister Kakaniens versammeln, zeigt sich diese Zusammenhangslosigkeit in einer nicht mehr zu bändigenden Vielzahl von Sprachen, Perspektiven und Gesichtspunkten, die sie als Spezialisten einbrachten, ohne sich noch untereinander verständigen zu können.

 

Kontingenz

Doch Musil, der Naturwissenschaften studierte und Ingenieur war, bevor er sich den Geisteswissenschaften und der Psychologie zuwandte, untersucht dieses moderne Zerborsten-Sein der „Wahrheit“ und des „Sinns“, dieses Zerbrechen der zumindest im Rückblick noch als „ganz“ idealisierten Welt vor dem Einsetzen der Industrialisierung und dem Siegeszug von Wissenschaft und Technik nicht bloß am abgründig komödiantischen Beispiel der Parallelaktion. Auch Ulrichs Entscheidung, Urlaub vom Leben zu nehmen, weil er keinen Sinn mehr in seinen bisherigen Beschäftigungen sieht, ist Ausdruck der Erfahrung, dass sich sein Denken und Fühlen „in immer zahlreicher werdenden Einzelheiten verloren hat“. Diesem Gefühl korrespondiert die moderne Erfahrung der Kontingenz, das heißt des alles durchdringenden Zufalls und der nicht mehr einholbaren Relativität und Perspektivität – Nietzsche war für Musil eine wichtige Referenz –, die der Roman zur gesteigerten Anschauung bringt. Nur „wenig Menschen“, heißt es etwa, „wissen in den Jahren der Lebensmitte, wie sie zu sich selbst gekommen sind, zu ihren Vergnügungen, ihrer Weltanschauung, ihrer Frau, ihrem Charakter, Beruf und ihren Erfolgen“ – und sie hätten daher das Gefühl, dass es „auch hätte anders kommen können“, denn „die Ereignisse sind ja zum wenigsten von ihnen selbst ausgegangen, meistens hingen sie von allerhand Umständen ab“. Das gilt auch für den Prostituiertenmörder Moosbrugger, die dunkle – in ihrer Einfachheit aber auch helle – Gegenfigur des Romans: Warum wurde er zum Verbrecher, der auf seine Hinrichtung wartet, während andere zuhause „Frau, Familie, Grammophon und Seele“ haben? Man weiß es nicht.
 
Was also sind, so gesehen, die „Eigenschaften“ eines Menschen, das heißt das, was ihn besonders macht? Man würde meinen, sie kämen irgendwie von „innen“, aber wir werden eines Besseren belehrt. „Ein Mann ohne Eigenschaften besteht aus Eigenschaften ohne Mann“, heißt es programmatisch in einem Kapiteltitel. Denn Ulrich beschleicht zunehmend das Gefühl, „dass die persönlichen Eigenschaften […] mehr zueinander als zu ihm gehörten, ja jede einzelne von ihnen hatte, wenn er sich genau prüfte, mit ihm nicht inniger zu tun als mit anderen Menschen, die sie auch besitzen mochten“.

 

Geist

Diese durchdringende Kontingenz und Relativität, die jede Vorstellung einer „zivilrechtlich gegen die Umwelt abgegrenzte[n] Haupt- und Gesamtperson“ unterlaufen, betreffen, vom Individuellen ins Große der Gesellschaft und der „Zeit“ hochskaliert, auch den „Geist“. Auch er war relativ geworden, ja, er sei ein „große[r] Jenachdem-Macher“, aber „nirgends zu fassen“ und besitze seinerseits wohl gar „keinen Geist“; man könne daher „fast glauben, dass von seiner Wirkung nichts als Zerfall übrig bleibe“. Ulrich ahnt in diesem Sinne grübelnd, dass der „Geist“, auf den die in der Parallelaktion Versammelten ihre Hoffnungen setzen, das Phantasma einer versinkenden Epoche war: „Unzählige Auffassungen, Meinungen, ordnende Gedanken aller Zonen und Zeiten, aller Formen gesunder und kranker, wacher rund träumender Hirne durchziehen ihn zwar wie Tausende kleiner empfindlicher Nervenstränge, aber der Strahlpunkt, wo sie sich vereinen, fehlt.“ Die Mitte, das Zentrum, das alles verbindet und von wo auch die „große Idee“ kommen müsste, ist leer.
 
Bedauerte Musil das, trauerte er dem Verlorenen nach? Man kann an dieser Stelle daran erinnern, dass Jean-François Lyotard 1979 in seinem „Bericht“ über die condition postmoderne vom „Pessimismus“ sprach, „der die Generation der Jahrhundertwende in Wien genährt“ hat und zu der Lyotard als ersten Musil zählte, dazu Schönberg, Hofmannsthal, Mach oder Wittgenstein. Diese Generation habe dem Verlust gleichsam ins Auge geblickt und mit der „Trauerarbeit“ begonnen, die jetzt, 1979, „abgeschlossen“ sei: Die „Großen Erzählungen“, die großen sinnstiftenden Systeme seien nicht nur nicht mehr möglich, sondern auch nicht mehr nötig. Niemand bedauere noch länger ihren Verlust.
 
Diese Diagnose müsste man heute zweifellos diskutieren. Was jedoch Musil betrifft, ist der Fall recht klar: Zum einen hatte er eine sehr dezidierte Theorie, was anstelle des Geistes die Geschichte vorantreibt: Die „Revolutionen der Lebensumstände“ ereignen sich nicht, wie er im Anschluss an die oben zitierte Passage über die aufkommende Massenkultur bemerkt, „auf dem verantwortungsreichen Weg der geistigen Entwicklung über Philosophen, Maler und Dichter“, sondern auf dem Weg „über Schneider, Modegeschehnisse und Zufälle“, also über die „Schöpfungskraft der Oberfläche“ statt über den „unfruchtbaren Eigensinn des Gehirns“. Und als sei das nicht schon deutlich genug – und avant la lettre postmodern –, fügte er hinzu: „Das ist die Entthronung der Ideokratie, des Gehirns, die Verlegung des Geistes an die Peripherie“.

 

Seele

Zum andern bedachte der Erzähler Musil das Verlorene meist nur noch mit Sarkasmus. Als Ulrichs Jugendfreund Walter, für den seine Frau Clarisse eigentlich eine Karriere als „Genie“ – entweder als Maler oder als Musiker – vorgesehen hatte, Ulrich in nur dürftig kaschierter Verzweiflung über seine verkrachte Existenz entgegenschleuderte: „Und wir sollen auf jeden Sinn des Lebens verzichten?!“, fragte dieser kühl zurück, „wozu er eigentlich einen Sinn brauche? Es ginge doch auch so, meinte er“.
 
Walter und Clarisse, Diotima und ihr sehr, ja allzu sehr vertrauter Freund Dr. Arnheim, aber auch Ulrichs insgeheim verachtete, weil naive „Geliebte“ Bonadea und natürlich die Eminenzen und Geistesgrößen an den Sitzungen der Parallelaktion oder die politisch aufgewühlte „Jugend“: Sie alle glaubten nicht nur an den „Sinn“, sondern hofften ihn in der Tiefe ihrer „Seele“ zu finden – dort also, wo der Geist in einer Dimension jenseits der vielgeschmähten „wissenschaftlich-technischen Rationalität“ diesen stifte. Was aber ist die Seele? Die Antwort des studierten Psychologen Musil ist so nüchtern wie nur möglich: Sie ist nicht als Substanz oder Mittelpunkt des Subjekts zu fassen, sondern letztlich wohl nur ein „großes Loch“, das man, um über diese Leere hinwegzutäuschen, am besten mit „Idealen und Moral“ füllt. Im Falle von Diotima, die ihre Bildung mit überstürzten Lektüren nachholt, resultiert daraus ein Gefühl, das „sie jetzt Seele nannte und in der gebatikten Metaphysik Maeterlincks“ – dem Literaturnobelpreisträger von 1911 – „wiederfand, in Novalis, vor allem aber in der namenlosen Welle von Dünnromantik und Gottessehnsucht, die das Maschinenzeitalter als Äußerung des geistigen und künstlerischen Protestes gegen sich selbst eine Weile lang ausgespritzt hat“.
 
Das Thema ist ständig präsent: der Widerspruch zwischen der angeblich überbordenden Rationalität des wissenschaftlich-technischen Zeitalters und den Bedürfnissen der Seele, die ihrerseits auf ein verlorenes „Ganzes“ oder eine anzustrebende neue „Synthese“ verweisen würden. Dieses Verlustgefühl konnte zum Beispiel einen hochspezialisierten Mediziner überfallen: „[W]enn man sich der Erforschung der Nierentätigkeit widmet, so gibt es doch Augenblicke dabei“, wie Musil mit kaum zu überbietendem Spott schreibt, „wo man sich veranlasst sieht, humanistische Augenblicke will dies sagen, an den Zusammenhang der Nieren mit dem Volksganzen zu erinnern. Darum wird in Deutschland so viel Goethe zitiert.“ Musil ließ allerdings keinen Zweifel daran, dass die moderne Gestalt des imaginierten „Ganzen“ als „Volksganzes“ nicht länger bloß mit Goethe herbeigewünscht wurde – nur Dr. Arnheim, der edle preußisch-jüdische Geist, wollte partout nicht wahrnehmen, dass diese unter der „Jugend“ verbreitete Stimmung sich zunehmend in der abstoßenden Gestalt des Antisemitismus zu manifestieren begann.

 

Inzest

Auch vor diesem Hintergrund gibt der 1932 publizierte zweite Band des Mann ohne Eigenschaften und gleichzeitig dritte Teil der Erzählung mit dem Titel „Ins Tausendjährige Reich (Die Verbrecher)“ Rätsel auf. Denn es geht nicht, wie man meinen könnte, um die nach der Macht strebenden Nationalsozialisten, sondern um Ulrichs Schwester Agathe, genauer gesagt um das Verhältnis der beiden Geschwister, die sich nach langen Jahren anlässlich der Beerdigung ihres Vaters wieder treffen. Agathe ist gerade daran, sich scheiden zu lassen. Sie zieht zurück nach Wien und zu Ulrich, wo die beiden in langen Gesprächen ihr Verhältnis als imaginäre „Zwillinge“ ausloten, die sich wie in Platons Gleichnis von den beiden Halbkugeln wiedergefunden glauben. Die Stimmung zwischen ihnen ist in einer schwebenden, kaum ausgesprochenen Weise inzestuös. Der tatsächliche Inzest wäre allerdings das primäre „Verbrechen“, der fundamentale Bruch jeder gesellschaftlichen Ordnung, wie die mit den Schriften Freuds vertrauten Hauptfiguren natürlich wissen. War der Inzest für Musil mithin eine Metapher für das verbrecherische Ansinnen, in einem „tausendjährigen Reich“ unter dem Titel des „Volksganzen“ die in der Moderne verlorene Ganzheit, die „Synthese“ zwischen Seele und Vernunft, gewaltsam wieder herzustellen? Man kann nur rätseln und dabei mit Ulrich zu den Sitzungen der Parallelaktion zurückkehren, wo das Kommen der „großen Idee“ nun doch unmittelbar bevorzustehen scheint. Doch keine Sorge – sie verflüchtigt sich wieder, bevor sie sich gezeigt hat, und neugierige Leser:innen können in den nachgelassenen Textteilen das grundsätzliche Nicht-Enden dieser Geschichte noch bis in ihre letzten, sprachlich vollendeten Fragmente nachvollziehen.

 


AUTEUR

Philipp Sarasin lehrte Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich. Er publizierte kürzlich “1977. Eine kurze Geschiche der Gegenwart” (Suhrkamp 2021) und ist Herausgeber von Geschichte der Gegenwart.


BRON
geschichte der gegenwart4 september 2022



 

Uitgelichte foto: bron

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