DAS ÖL DER ANDEREN
Die Hälfte des weltweit gehandelten Öls ist gestohlen. Auf dem Markt der fossilen Rohstoffe entscheidet noch immer das Recht des Stärkeren. Auch Deutschland importiert geraubtes Öl. Wie können wir uns vom »blutigen Öl« befreien?
Han Langeslag
Die Nachricht der neuen Elektroshop-Kette hat sich in den vergangenen Wochen in Windeseile verbreitet. Gerade mal 2 Monate ist es her, dass der erste Laden in Köln eröffnet hat. Die Preise sind unschlagbar: 200 Euro für einen 60 Zoll Flachbild-Fernseher, 150 Euro für einen großen Kühlschrank mit 2 Türen und Eiswürfel-Maschine. Nicht schlecht, oder? Sicher einen Besuch wert. Der einzige Haken: Der Shop fragt bei seinen Lieferanten nicht nach, woher die Laptops, Smartphones und Waschmaschinen kommen. Das Label »Made in…« fehlt.
Parallel häufen sich seit einigen Wochen Nachrichten über lokale Street-Gangs, die in Osteuropa die Bevölkerung terrorisieren und Häuser plündern. Letzten Freitag haben sie mit Gewalt die Führung erster Länder übernommen. Ihr Markenzeichen: Sie exportieren große Mengen Elektronik-Artikel, von Flachbildschirmen bis hin zu teuren Kaffeeautomaten, gestohlen von den Bürgern des Landes. Nachdem wir bereits das eine oder andere Mal zugeschlagen haben und uns über unsere Schnäppchen freuen, machen wir eine böse Entdeckung: Unser neuer Tablet-PC und die Waschmaschine sind gestohlen, importiert von Dieben aus Osteuropa. Würden wir weiterhin dort einkaufen?

Quelle: US Department of State copyright
Die Fabel vom legalen Handel
Die Geschichte klingt wie ein schlechtes Märchen, ist aber nicht weit von der Wahrheit entfernt. Der Wahrheit über den Handel mit einem der wichtigsten Güter weltweit: Öl. Jeden Tag fließt Öl aus Ländern zu uns, die – gemäß unserem hier geltenden Verständnis von Gerechtigkeit – die eigene Bevölkerung ausbeuten und berauben. Gestohlenes Öl in unseren Tanks, in unseren Plastikverpackungen und in unseren Heizungen. Hast du schon mal bei der Tankstelle deiner Wahl nach einem Label »Made in …« gefragt?
Anhand unseres Verständnisses von Gerechtigkeit haben wir den Fast die Hälfte des Öls stammt aus Ländern, die nicht einmal als »teilweise frei« gelten. Wow!
»Beim Öl-Handel gilt das , sagt Leif Wenar, Professor der Rechtsphilosophie am Kings College der Universität von London. »Dieses Prinzip bestimmt, mit wem wir international Handel betreiben. Das bedeutet: Wenn jemand – egal mit welchen Mitteln – die Kontrolle über Ölquellen, Minen und andere Bodenschätze gewinnt, kann diese Person sämtliche Ressourcen an andere Länder weiterverkaufen. Diese werden dann hier vor Ort legal wiederverkauft.« Das geschieht also unabhängig davon, ob ein autoritäres Regime, eine Diktatur oder eine Gewaltherrschaft Ausgangspunkt des Handels ist. Trauen wir solchen Handelspartnern die Eigentumsrechte am gehandelten Öl zu? Es ist wie bei dem fiktiven Beispiel mit den günstigen Kühlschränken: Haben die Eigentümer der neuen Elektroshop-Kette ihre angebotenen Produkte legal erworben?
Leif Wenar beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit dem Welthandel von Öl im Zusammenhang mit internationalen Rechtsfragen. Anfang des Jahres hat er sein Buch Blood Oil (Blut-Öl) veröffentlicht und reist um die Welt, um mit Regierungen, Wissenschaftlern und Interessierten über das Thema zu sprechen. Im Gepäck hat er konkrete Vorschläge für Alternativen. Um die aktuelle Situation zu ändern, damit wir nicht länger gestohlenes Öl konsumieren. Wir haben mit ihm gesprochen, über das Internet. Aktuell ist er Gastprofessor in Kalifornien.

Stanford. Leif Wenar trinkt seinen Morgenkaffee, bei uns ist früher Abend. Auf dem Bildschirm taucht ein freundlicher Mann auf, der nicht wirkt, als könne er ein Buch über blutige Geschäfte schreiben. Eine kurze Begrüßung und wir steigen direkt ins Thema ein. Er bringt den Vergleich mit der Elektroshop-Kette und fragt: »Wie kann es sein, dass wir, ohne Fragen zu stellen, Ressourcen blind kaufen – von jedem, der diese liefern kann? Egal, ob im Herkunftsland Gewalt und Schrecken herrschen. Egal, ob die Bürger des Landes nicht nach ihrer Zustimmung gefragt werden und auch nicht am Gewinn beteiligt werden.«
Beispiel Irak: »Als Saddam Hussein in den 1980er-Jahren durch einen militärischen Putsch die Macht übernommen hat, war es auf einmal legal für Deutschland, Öl von Saddam zu kaufen. Jahrzehnte später, nachdem der IS einen Teil dieser Ölquellen übernommen hat, konnte der IS das gewonnene Öl legal an Deutschland verkaufen. Natürlich nur, bis auf internationaler Ebene beschlossen wurde, nichts mehr vom IS zu kaufen.«
Oder Saudi-Arabien, der weltweit größte Exporteur von Öl und gleichzeitig eines der letzten Länder, das die UN-Menschenrechte nicht anerkennt. Es ist ein Land, in dem der König die absolute Macht besitzt, in dem es keine Pressefreiheit gibt, in dem Frauen kaum Rechte haben und das eine sehr fundamentalistische Interpretation des Islams beheimatet und vorschreibt, den Wahhabismus. Nicht zuletzt ist Saudi-Arabien einer der größten Waffenimporteure und in diesem Segment Deutschlands drittgrößter Kunde.
Wer hat mein Öl gestohlen?
Artikel 1 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom
besagt:- Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.
- Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.
Fast alle Länder haben diesen Aussagen zugestimmt, sie unterschrieben und
Die Weltbevölkerung ist sich im Grunde also einig: Die Bewohner eines Landes sollten Kontrolle über ihre Ressourcen haben. Wie lässt sich das überprüfen? Leif Wenar beschreibt einen der überprüft, ob ein Staat hält, was er unterschrieben hat. 2 Fragen sind dabei zentral: Können die Bürger eines Staates Einfluss auf ihre Regierung ausüben, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen? Und: Haben die Bürger also die Möglichkeit zu beeinflussen, was mit den Ressourcen ihres Landes passiert?
Wenn nun unsere Antwort auf diese Fragen »Nein!« laute, sei die logische – und rechtlich korrekte – Reaktion, den Konsum von Rohstoffen aus dem entsprechenden Land zu beenden. Denn nach unseren eigenen Gesetzen sind diese Rohstoffe illegal – und wir befinden uns in der gleichen Lage wie ein Kunde der Elektroshop-Kette, der gestohlene Ware kauft. Bei der Überprüfung demokratischer Rechte und deren Umsetzung in einem Land hilft zum Beispiel die jährliche Bewertung der unabhängigen Organisation Freedom House, die unter anderem Leif Wenars Testpunkte überprüft. Dabei erhält jedes Land der Welt eine Ziffer von 1 bis 7. Freie Länder erhalten eine 1, nicht freie Länder eine 7. Wir haben die Grenze bei 5,5 gesetzt. Ein Land muss also eine bessere »Note« als 5,5 erhalten, um den Test zu bestehen. Der Hintergrund: Ab 5,5 Punkten gilt ein Land als teilweise frei. Mit den Ergebnissen des Freedom House-Berichts aus dem Jahr 2015 und der Menge der weltweiten Öl-Exporte zwischen 2012 und 2014 haben wir den Anteil des gestohlenen Öls berechnet. Unser Ergebnis: die besagten 48%.
Der Freedom House-Index von allen Öl-exportierenden Ländern. Alle hellgrauen Länder exportieren kein Öl. Klicke auf ein Land, um zu sehen wie viel Öl aus diesem Land täglich exportiert wird und welchen Freedom House-Index das Land hat.
Sobald wir tanken, finanzieren wir Gewalt und Unterdrückung
Aber es geht nicht nur ums Öl, mit dem wir unsere Tanks füllen und unsere Wohnungen heizen. »In deinem Smartphone befinden sich wahrscheinlich Rohstoffe aus dem Kongo. Gewonnen von Menschen, die durch eine grausame Miliz beherrscht werden«, sagt Leif Wenar und hält sein eigenes Smartphone vor die Kamera seines Laptops. »Ich habe damit nicht nur Waren gekauft, die aus dem Kongo geplündert sind. Mein Geld als Konsument fließt auch noch direkt zurück zu diesen Milizen. Damit gebe ich einen Anreiz für mehr Gewalt. Wenn die Welt sagt: Ressourcen können mit Gewalt erobert werden und jeder, der das tut, kann viel Geld erwirtschaften, sorgen wir selbstverständlich für mehr Gewalt und Unterdrückung.«
Mit anderen Worten: Wir haben in den letzten Jahrzehnten zur Finanzierung von beigetragen. Und zwar jedes Mal, wenn wir unsere Autos vollgetankt, unsere Heizungen angedreht und ein neues Smartphone erworben haben. Kriege und Bürgerkriege sind in Ländern mit vielen Ressourcen zweimal so häufig wie in Ländern mit geringen oder keinen Ressourcen. Wie kann das sein? Denn zunächst einmal bedeuten Ressourcen vor allem eines: Geld. Das klingt nicht schlecht, vor allem für arme Länder. Was aber, wenn das Geld nicht beim Volk ankommt, sondern stattdessen für die Mächtigen der Länder wie eine Droge wirkt, eine Sucht, die über den Handel mit Ressourcen finanziert wird? Mit unserem täglichen Konsum von Öl und anderen Rohstoffen fördern wir diese Sucht nach dem Geld. Für zahlreiche Länder ist der Reichtum an Ressourcen tatsächlich zu einem »Fluch« (dem sogenannten »resource curse«) geworden.
Die Problematik ist viel älter als unsere Öl-Abhängigkeit: Das »Recht des Stärkeren« stammt nicht nur aus dem letzten Jahrhundert, sondern aus dem Jahr 1648. Das Jahr des der in Münster geschlossen wurde. Die Vertragspartner aus ganz Europa waren sich einig: Alles, was innerhalb der Grenzen meiner Nachbarn passiert, geht mich nichts an (»none of my business«) – und spielt somit auch keine Rolle bei der Entscheidung, ob mit einem Nachbarn Handel betrieben wird. Leif Wenar hält diese Grundlage für veraltet – genau wie die Mehrheit aller Staaten weltweit, die die UN-Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben. »Das Land gehört den Menschen, den Bürgern.« Dann lacht Leif Wenar, entschuldigt sich kurz für seinen Akzent und zitiert mit amerikanischem Akzent den exakten Wortlaut aus dem deutschen Grundgesetz: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.«
Wie soll der Diktator ohne Öl seine goldenen Wasserhähne bezahlen?
Auch im Jahr 2016 gibt es zahlreiche Länder, die von Alleinherrschern regiert werden. Staaten, die große Öl-Reserven besitzen, sind nicht nur häufiger von Bürgerkriegen betroffen, sie werden auch viel häufiger von Alleinherrschern regiert. Ein Beispiel: Teodoro Obiang ist »Präsident« von Äquatorialguinea, einem kleinen Staat an der afrikanischen Westküste. Nachdem er seinen Onkel 1979 durch einen Putsch entmachtete und töten ließ, ist der 74-jährige diktatorische Staatspräsident heute dienstältester Präsident weltweit. Äquatorialguinea gehört zu den wichtigsten afrikanischen Öl-Lieferanten und Teodoro Obiang international zu den reichsten Staatsoberhäuptern. Seine 42 Kinder und er lieben den Luxus: Zu ihren Besitztümern zählen mehrere Privat-Jets, eine Villa in Malibu, mehr als 30 Sportautos und ehemalige Besitztümer von Michael Jackson im Wert von mehr als 2 Millionen US-Dollar. Die Liste der Menschenrechtsverletzungen und anderer Anklagen ist ebenfalls lang.
Teodoro Obiang hält sich für Gott – warum auch nicht? Und so ein Gott verdient es auch, die eigene Boeing 737 mit goldenen Wasserhähnen auszustatten, während gleichzeitig 75% seiner Bürger von weniger als 2 US-Dollar pro Tag leben. Mit unserem Geld, das an solche Regimes fließt, sichern und verstärken wir die Position dieser Machthaber. Und zahlen so auch einen Teil der Rechnung von Teodoro Obiangs Privat-Jets und seinem Privat-Vermögen, das auf 600 Millionen US-Dollar geschätzt wird.
»Je weniger ein Regime auf die Steuergelder seiner Einwohner angewiesen ist, sagt Leif Wenar. »Würden diese Länder ihre Abhängigkeit von Steuergeldern erhöhen, wäre es umso wichtiger, eine gesunde und produktive Gesellschaft zu fördern – die in der Lage ist, die entsprechenden Steuergelder zu erwirtschaften.« Nehmen wir Deutschland zum Vergleich: Wir zahlen unseren Anteil an Steuern und erwarten im Gegenzug, dass der Staat diese Gelder nutzt, um eine Infrastruktur, eine vernünftige Gesundheitsvorsorge, ein funktionierendes Bildungssystem und andere Leistungen bereitzustellen – auch wenn das Ergebnis nicht immer direkt sichtbar ist oder zu Missmut führt. Kurz gesagt: Je größer der Anteil an Steuern, die eine Regierung von ihren Bürgern verlangt, desto größer die Verantwortung, die diese an die Bürger abgibt.
Aber ohne russisches Öl & Gas wird’s diesen Winter kalt, oder?
Glaubt Leif Wenar an einen Wandel? Ungefähr ein Drittel seines Buches handelt von konstruktiven Lösungsvorschlägen. Vor einigen Wochen war er in Washington, um Politiker davon zu überzeugen, den Handel mit unfreien Staaten zu überdenken. Für die Entscheidung, welche Länder als Handelspartner zugelassen sein sollten, beruft er sich auf bestehende Indizes wie den Freedom House und seinen Test. Ihm ist auch klar, dass die Überprüfung und die politische »Absegnung« dieser Tests nicht einfach werden wird – der Index wird nicht eins zu eins als Maßstab übernommen werden.
Auf unsere Frage, wie es weitergehen wird, antwortet er dennoch: »Ich bin extrem optimistisch. Wenn wir in die Vergangenheit schauen, sehen wir die enormen Fortschritte, die wir bereits gemacht haben. Früher erlaubte das ›Recht des Stärkeren‹ den legalen Sklavenhandel. Millionen Menschen wurden so von Afrika nach Amerika transportiert und verkauft. Jetzt gibt es internationale Regeln, die den Menschenhandel offiziell verbieten. Das Gleiche gilt für Apartheid, territoriale Ansprüche, Genozide usw. Es gelten nicht mehr die Regeln von 1648, die besagten, es gehe uns nicht an, was in den Nachbarländern passiert.«
Aber (noch) Egal ob für den Transport, zur Wärmeerzeugung oder für die Produktion zahlreicher anderer Produkte. »Ist die Herausforderung, auf das Öl der Diktatoren zu verzichten, nicht zu groß?«, fragen wir Leif Wenar skeptisch. Immerhin ist es als Konsument nicht einfach, sich auf »ethisch korrektes Öl« zu beschränken. »Richtig«, stimmt er zu. »Öl und andere Ressourcen sind in unserer Wirtschaft so allgegenwärtig, dass es für uns als Konsumenten unmöglich ist, immer die richtige Entscheidung zu treffen. Wir brauchen wirklich eine Änderung der politischen Parameter. Aber auch da bin ich optimistisch.« Seine Gespräche mit amerikanischen Politikern seien gut verlaufen. Es bestehe Interesse und ihm werde zugehört.
Aber wenn fast die Hälfte des weltweit gehandelten Öls »gestohlen« ist – wie können wir noch entscheiden, was wir guten Gewissens kaufen können? Wo sollen wir dann noch tanken und wie unsere Wohnungen und Büros heizen? Auch auf diese Frage hat Leif Wenar eine Antwort: »Der Westen ist nicht mehr auf das Öl autoritärer Regimes angewiesen. Es gibt ausreichend Öl aus freien Ländern.« Die Umstellung von heute auf morgen ist nicht notwendig. Stattdessen schlägt er vor, den Handel allmählich auslaufen zu lassen. So haben wir Zeit, Nicht freie Länder erhalten auf diesem Wege außerdem die Chance, ihre Demokratien zu stärken und sich vielleicht doch noch als Handelspartner zu qualifizieren, indem sie beispielsweise ihre eigene Gesetzgebung ändern.
Die Anpassung unseres individuellen und staatlichen Handelns ist wichtig – nur so kann sichergestellt werden, dass grundlegende Maßstäbe wie die UN-Menschenrechtskonvention auch über die eigene Landesgrenze hinaus berücksichtigt werden. Aber kann das dann wirklich einen Unterschied vor Ort machen? Für die Menschen in Äquatorialguinea, die verhaftet werden, wenn sie Flugblätter verteilen? Kann es langfristig wirklich so laufen, wie von unserem Interview-Partner beschrieben: Vom durch den Öl-Handel erwirtschafteten Geld zu Steuereinnahmen zu einer langfristigen Demokratisierung? Ob die autoritären Regimes weiterhin Geld verdienen werden, hängt von den politischen Entscheidungen Chinas und Indiens ab. Das bestätigt auch Leif Wenar. »Aber stellt euch vor, die EU würde heute verkünden, kein Öl mehr aus autoritären Regimes zu kaufen. Als die USA in der Vergangenheit beschlossen, keine Diamanten mehr aus Kriegsgebieten zu kaufen, folgte die EU sehr schnell mit einer ähnlichen Gesetzgebung.«
In all diesen nicht freien Ländern gibt es Menschen, die für mehr Rechte und Freiheit kämpfen. »Einige Politiker aus diesen Ländern haben schon öfter Reformen angekündigt. Ideen liegen in der Schublade, ihre Umsetzung verzögert sich aber immer wieder.« Unsere Entscheidung, den Öl-Handel mit diesen Ländern zu beenden, könnte den Ausschlag dafür geben, diese Reformen aus den Schubladen zu holen. Russland, Deutschlands wichtigster Öl- und Gas-Lieferant, hatte vor 2 Jahren noch einen Freedom House-Index von 5,5 und lag damit genau zwischen frei und nicht frei. Durch die zunehmenden Restriktionen der Pressefreiheit und andere Einschränkungen ist Russland auf eine 6 abgerutscht. Das zeigt aber auch: Diese Werte lassen sich verändern – warum sollte es nicht möglich sein, sie nach oben zu verändern, zurück auf 5,5 oder einen noch besseren Wert?
Wie steht es genau um Deutschland beim Import von gestohlenem Öl? Neben Russland gehören andere Regimes wie Kasachstan und Saudi-Arabien, die den Test auf Basis der Freedom House-Bewertung nicht bestehen, zu den Lieferanten. Sie gelten als nicht frei. Auch Äquatorialguinea steht auf der Liste von 34 Ländern, aus denen Deutschland 2014 Öl importierte.
Es gibt aber auch Öl-exportierende Länder wie Norwegen, in denen die Einwohner bereits frei und selbstbestimmt lebten, als die Öl-Vorkommen entdeckt wurden. Die norwegische Regierung investierte von Beginn an fast alle Einnahmen aus dem Öl-Handel in die Rentenfonds des Landes. Die USA und Mexico sind weitere Beispiele für große Öl-Exporteure, die als frei oder zumindest teilweise frei eingestuft sind. Das zeigt: Es gibt alternative Öl-Quellen. So hat Deutschland 2014 die Öl-Importe aus Norwegen im Vergleich zum Vorjahr bereits um 38% erhöht. Öl-Milliarden müssen also keinen Fluch bedeuten. Aber wenn Öl in Ländern entdeckt wird, in denen die Bevölkerung kaum ein Recht auf Mitsprache hat, trägt das dazu bei, den Status quo zu erhalten. Das zeigen Leif Wenars und andere Studien.
Wird es also Zeit, an Tankstellen »Made in …«-Labels mit Farbcodierung einzuführen? Damit wir Bürger entscheiden können, ob wir mit unserem Geld autoritäre Regimes unterstützen möchten? Vielleicht. Viele andere Produkte werden bereits fair gehandelt und wollen so bessere Arbeitsbedingungen für die Produzenten garantieren. Und auch wenn dies zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt, haben wir bei Schokolade, Kaffee und Kleidung bereits die Wahl zwischen Marken, die sich für fairen Handel stark machen und solchen, die es nicht tun. Gibt es in Zukunft dann zwischen Super und E10 den Zapfhahn mit Fairtrade-Diesel? Leif Wenar arbeitet aktuell an einem Ranking von Ölfirmen. Er will zeigen, welche Ölfirmen in welchen Ländern operieren. Die individuelle Kaufentscheidung an der Tankstelle ist also eine Möglichkeit, sich bewusst gegen gestohlenes Öl zu entscheiden. Der Großteil des Öls steckt aber indirekt in anderen Produkten wie Kunstoffen und ist wichtige Energiequelle. Hier braucht es die von Leif Wenar angesprochene politische Veränderung.
In der Vergangenheit haben wir es auf internationaler Ebene geschafft, Sklaverei abzuschaffen und Völkermorde zu verbieten. Die Frage ist nun: Wer wird zuerst handeln – die USA, China, Indien oder die EU? Deutschland könnte auf seinem Weg zur Energieunabhängigkeit inklusive Energiewende ein Zeichen setzen. Auf Öl, das aus nicht freien Ländern stammt, könnten wir als Erstes verzichten. Die Politik ist gefragt – und damit jeder von uns. Denn Deutschland hat genau wie die Schweiz und Österreich einen Freedom House-Index von 1, frei also. Frei zu fragen, zu diskutieren und Änderungen zu bewirken.
»Am Ende sind es die Ideen, die gewinnen«, schreibt unser Interview-Partner im drittletzten Kapitel von Blood Oil. Sie müssen nur umgesetzt werden.
AUTEUR
Han Langeslag geht es um Verantwortung, denn unser Handeln hat heute mehr Einfluss auf das globale Geschehen als je zuvor. Sind wir darauf vorbereitet? Wie können wir überhaupt noch eine Übersicht über die komplexen Zusammenhänge bekommen? Fachlich reicht seine Perspektive als Wirtschaftswissenschaftler, Psychologe und Neurowissenschaftler vom Individuum bis hin zum globalen Handelssystem.
Bron: Perspective Daily – 21 juni 2016 – PDF
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