Making Europe

De boodschap van het Westen aan de wereld


 
Wie gaat de kindertjes vertellen wat de ware plaats is van Europa in de universele geschiedenis van de mensheid? Ze is marginaal, kwalitatief gemeten, maar bleek o zo vernietigend voor andere culturen.
 


 
 

ALLE WELT WEISS ES LÄNGST

ARNO WIDMANN

 

Er ist klein und zart, seine Haare sind weiß, sein Bart ist weiß. Aber er hat, wenn er dasteht und von der Weltgeschichte, wie er sie sieht, erzählt, nichts, überhaupt nichts Altes, Gebrechliches. In elf Thesen will er unser Weltbild umstürzen.
 
Das erste aber ist, dass er ein Stück Kreide nimmt und Europa, Afrika und Asien auf die Schiefertafel hinter ihm zeichnet. Wir sind im Hörsaal 1199 der Freiburger Universität, gleich neben dem Husserlarchiv. Der in Argentinien geborene, in Mexiko lebende und überall auf der Welt lehrende Enrique Dussel macht das mit einem einzigen Strich. Er setzt nördlich von Porto an, fährt dann hinunter an Gibraltar vorbei, passiert die Costa Brava und die Riviera, fährt den Stiefel hinab und dann wieder hoch, dann Griechenland, die Türkei, Syrien, Ägypten, Libyen, die Westküste Afrikas hinunter, im Osten wieder hoch, am Sinai hinüber an die … und so weiter. Am Ende, nachdem er China konturiert hat, beginnt er die Rückreise und endet wieder am Dourotal, wo der Portwein herkommt.
 
Dussel hat für diese Skizze nicht länger als ein paar Sekunden gebraucht. Seine Hand malt diese drei Kontinente seit mehr als drei Jahrzehnten sicher mehr als dreißig Mal im Jahr. Dann erzählt er. Vergessen Sie Altertum, Mittelalter, Neuzeit. Das ist die Erfindung dieser kleinen Stelle hier. Er lacht. Während hier in Europa das Mittelalter herrschte, blühten die islamische Welt, Indien und China. Europa ist wahnsinnig stolz auf seine Renaissance. Aber zu der kam es nur, weil Griechen vor den Moslems aus Konstantinopel flohen. Wir lernen in der Schule, Spanier und Portugiesen hätten die Welt entdeckt. Lächerlich. Sie taten das mit chinesischen Weltkarten in der Hand. Bis tief ins 18. Jahrhundert hinkte Europa – in Wirtschaft, Philosophie, in Technik und in den schönen Künsten – dem Rest der Welt hinterher. Dussel hat eine Mission: die Zurechtstutzung des europäischen Dünkels.
 
Manchen der Tagungsteilnehmer ist er peinlich. Das weiß man doch alles seit 40 Jahren, sagt einer, der es wohl erst seit fünf Jahren weiß. In Wahrheit ist es sein Feuer, sein Schwung, was Anstoß erregt. Man will sich doch gerade als ordentliche Wissenschaft etablieren. Da stören solche Charismatiker wie Dussel.

 

Wir machen uns lächerlich

“Making Europe – The Global Origins of the Old World” heißt die Tagung, zu der das Freiburg Institute for Advanced Studies eingeladen hat. Ken Pomeranz ist da, der vor zehn Jahren in seinem Buch “The Great Divergence” zeigte, wie sehr China bis 1750 wirtschaftlich dem Westen überlegen war. Jürgen Osterhammel ist da und Eric D. Weitz. Aber es sind auch Wissenschaftler aus Indien, Kamerun, Kongo oder Südkorea auf der Tagung.
 
An ihrem Ende, als es um Manöverkritik geht und die europäischen und amerikanischen Wissenschaftler meinen, man solle auf die nächsten Tagungen ruhig auch Nicht-Global-Historiker einladen, sozusagen als “Qualitätsprüfer”, da meldet sich Mridula Mukherjee. Sie ist die Chefin des Nehru Museums und Professorin für moderne Geschichte an der Nehru-Universität in Neu-Delhi. “Was Herr Dussel gestern Abend gesagt hat, das war nichts Neues. Wir wissen es alle. Wir wissen es seit vielen Jahren. Aber an welcher Universität – nicht zu reden von den Schulen – Europas wird das unterrichtet? Wo wird das Bild von der Weltgeschichte zurechtgerückt?
 
Wir machen das in Neu-Delhi. Es wird in China gemacht und in Afrika. In Lateinamerika. Alle Welt weiß, wie die Dinge wirklich stehen. Nur in Europa, da hält man an diesen alten Legenden von der Einzigartigkeit von dem Rätsel Europa fest. Das ist nicht schlimm für uns. Wir wissen es besser. Für Europa ist es schlimm.”
 
Tatsächlich spricht viel dafür, dass eine Geschichtsschreibung, die Europa als Motor der Weltgeschichte beschreibt, von Jahr zu Jahr lächerlicher wirkt. Je wichtiger andere Weltgegenden – wieder – werden, desto mehr wirken europäische Historiker, die nach wie vor glauben, eine nichts als europäische Geschichte von Athen bis London schreiben zu können, wie Narren. Der Glaube, man könne neben der großen alten Erzählung vom Europa, in dem Vernunft und Freiheit so glücklich beieinander sind wie nirgends sonst auf der Welt, einfach Hunderte andere, kleinteiligere Verflechtungen setzen, der Glaube also, man könne innerhalb des weiter eurozentrisch funktionierenden Betriebes, einen kleinen Fachhandel fürs Ganze einrichten, ist rührend. Wer zu Muslimen sagt, sie müssten vom Christentum lernen, dass Glaube und Vernunft zusammengehören, der leugnet, dass die christliche Theologie diesen Gedanken den Theologen des Islam abgeguckt hat. Ohne den Aufstand der Dussels wird es das Neue, den Versuch eines realistischen Blicks auf die Rolle Europas in der Menschheitsgeschichte, nicht geben.
 
Das – möglicherweise sogar gegen die Absichten einiger ihrer Teilnehmer – klargemacht zu haben, ist das große Verdienst dieser Tagung.

 


BRON
© FR-online – 30 mei 2010


 

 
Update januari 2023




Uitgelichte foto: bron – shutterstock.com 400783420

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