Mitteleuropäischer Wirtschaftstag (MWT)
…“ Aus der Enge des nationalen Wirtschaftsraumes streben kräftige Industriestaaten ebenso wie absatzsuchende Agrarstaaten nach größeren übernationalen Wirtschaftsräumen, die für einen größtmöglichen Anteil der Produktion Ausgleich in sich bieten und nach außen hin als starke Handelsvertragspartner auftreten können. Begonnen wurde diese Tendenz äußerst zielbewusst in den Vereinigten Staaten, die mit Dollar und Gewehr nach Norden und insbesondere nach Mittel- und Südamerika ihre Einflußsphäre ausbreiten. Als Ziel zeichnet sich der panamerikanische Wirtschaftsraum von Alaska bis Kap Hoorn ab. Auch in Europa scheint dieses Ziel des regionalen Wirtschaftsraumes allmählich festere Formen anzunehmen.“ (…) „Erst ein geschlossener Wirtschaftsraum von Bordeaux bis Odessa wird Europa das wirtschaftliche Rückrat geben, dessen es zur Behauptung seiner Bedeutung in der Welt bedarf. Denn während überall in der Welt neue Wirtschaftsräume zur Aktivierung schreiten, während sich ein panamerikanischer, ein indischer, ein chinesischer Wirtschaftsraum vorbereitet, droht Europa durch seinen inneren Zwist immer mehr an Bedeutung zu verlieren,“ (…)
Aus der Rede Carl Duisbergs über „Gegenwarts- und Zukunftsprobleme der deutschen Industrie“ auf der vom Bayrischen Industriellen-Verband veranstalteten Tagung „Wirtschaft in Not“ 24.März 1931 (Carl Duisberg (1861-1935): Gründungsvater und Vorstandsmitglied der IG-Farben, Vorsitzender des Reichsverbands der Deutschen Industrie)
aus: „Europastrategien des deutschen Kapitals 1900 – 1945“, Reinhard Opitz (Hg.), Pahl-Rugenstein, 1994, Bonn, Seite 581
Der MWT war zeitweise ein Interessenverband der führenden deutschen Konzerne, Banken und Wirtschaftsverbände, der das Ziel verfolgte, den mitteleuropäischen Markt mit wirtschaftlichen und handelspolitischen Maßnahmen zu durchdringen und im Rahmen einer geopolitischen Strategie mittels Strukturmaßnahmen wirtschaftlich wie politisch verfügbar zu machen. Als Vorläufer gründeten bereits 1904 überwiegend sächsische und schlesische Industrielle und Verbände den Mitteleuropäischen Wirtschaftsverein (MEWV) und die Reichsregierung präferierte diese Ausrichtung wirtschaftlicher Expansionspolitik mit dem Bagdad-Bahn-Projekt der Deutschen Bank. Während des 1. Weltkrieges wurden unter militärischen Prämissen eine Vielzahl von dementsprechend ausgerichteten Wirtschaftsverbänden gebildet, unter anderem der „Donau-, Balkan- und Schwarzmeerländerverband“ (Dubvid) und der „Wirtschaftsausschuss Ukraine“. Nach dem verloren gegangenen Krieg wurden diese Pläne erst einmal alle hinfällig.
1925 gründete Elemér Hantos (1881 – 1942), ein ungarischer Wirtschaftspolitiker, die Mitteleuropäische Wirtschaftstagung, auf der sich ein Jahr später eine deutsche Gruppe mit Befürwortern des Freihandels bildete. Die Initiative zum Aufbau, bzw. Übernahme des MWT als deutsche Interessenvertretung soll von der rheinischen Schwerindustrie, insbesondere einigen Mitgliedern der Ruhrlade, wie Gustav Krupp von Bohlen und Halbach ausgegangen sein, die neue Märkte für die Überkapazitäten ihrer eisen- und stahlverarbeitenden Industrie benötigten. Die Mitteleuropäische Wirtschaftstagung, als Organisation mit politisch neutralem Ansehen, bot sich als Planungsinstrument für die wirtschaftliche Expansion Deutschlands an. 1928 wurde die Organisation in Mitteleuropäischer Wirtschaftstag (MWT) umbenannt, danach traten Vertreter vieler deutscher Konzerne, Banken und Verbände in den Vorstand der Deutschen Gruppe ein.
Als wirkliche Konstituierung, bzw. Ausrichtung des MWT als deutscher Interessenverband wird die Gründungssitzung eines Arbeitsausschusses der Deutschen Gruppe im Februar 1931 gesehen, bei der drei Haupttätigkeitsfelder abgesteckt wurden: einen handelspolitischen Ausschuss, einen Agrarausschuss und einen Presse- und Propaganda-Ausschuss. Die Arbeitsausschüsse fanden ihre Fortsetzung zum Teil in firmeneigenen Stäben oder eigens dafür abgestellten Mitarbeitern. Die deutsche Interessenkoalition des MWT war in der Öffentlichkeit nicht präsent und die eigentliche Zentrale des MWT bestand nur aus einer Büroetage mit Geschäftsführer und Sekretärinnen in Berlin beim Bendlerblock, dem traditionellen Sitz der Militärführung der verschiedenen Waffengattungen. In den 1930er nahm, nach Sohn-Rethel, der MTW im Kontext mit Abteilungen der Reichswehr, in beachtlichen Umfang an subversiven Aktionen teil, die die Förderung der sezessionistischen Ustascha-Faschisten in Kroatien und weitergehend die breite Infiltration der Sowjetunion mit Agenten zur Nachrichtengewinnung und eine Stärkung nationalistischer Kräfte zur Zersplitterung der UDSSR zum Ziel hatten.
„Die Gründergruppe des neuen MWT war der »Stahlhof« in Düsseldorf gewesen, Tilo v. Wilmowsky, der Leiter der F.A. Krupp AG. in Berlin, wurde der Vorsitzende [des Präsidiums]. Er und Hahn erweiterten bald die Mitgliederzahl zu einer neuen Basis, die alle nennenswerten Konzerne und Gruppen des deutschen Finanzkapitals umfasste, also die I.G. Farben sowohl wie den Stahlverein, den Bergbaulichen Verein, das Kali-Syndikat und das Stickstoff-Syndikat, die Fahrzeugindustrie und den Maschinen- und Apparatebau, die Elektroindustrie wie die Dresdner Bank, die Verarbeitungsindustrie und die Großagrarier, den Essener Zweckverband, den ADAC und den Deutschen Auslands-Club (DAC), den Verein Deutscher Maschinenbauanstalten (VDMA), den Deutschen Städtetag und den Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI), um nur einige zu nennen. Im Ganzen war es eine ideale Klaviatur für Hahn, um darauf seine weitgesteckten Pläne zu instrumentieren. Enge Beziehungen spannten sich mit der Preußischen Hauptlandwirtschaftskammer, mit der Reichswehr, speziell der Abwehr-Abteilung, und natürlich mit dem Auswärtigen Amt an.“
Alfred Sohn-Rethel
Sohn-Rethel 1992, 66; Personen- und Funktionslisten des MWT bei Schwarzenau 1974, I, 122f. (Vorstand); 133f. (Präsidium); Schumann 1973, 52f.; Mitgliederliste Kuratorium und Beiräte
Im Zuge dieser internen Prämissen einer Südosteuropapolitik kam es bereits früh zur Gründung einer Reihe von wissenschaftlichen Instituten, u.a. dem „Institut für Mittel- und Südost-Europäische Wirtschaftsforschung an der Universität Leipzig“(1928) und dem „Institut für Verkehrs- und Währungswesen“(1929) in Wien. Über dem 1925 in Berlin gegründeten Zeitschriften- und Buchverlag „Volk und Reich“, der der Interessensphäre des Alldeutschen Verbandes nahestand, konnte der MWT seine Propagandatätigkeit lancieren. So wurde die volkstumspolitische Monatszeitschrift Volk und Reich (1925 – 1944) 1931 um die Rubriken Mitteleuropäische Umschau und Weltpolitische Umschau (Autor war der Geopolitik-Dozent Albrecht Haushofer) erweitert. Der Verlag wurde zwischen 1934 – 1938 aus dem Etat des Propagandaministeriums gefördert und ausgebaut. Ab 1939 subventionierte die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes das umfangreiche Buch- und Broschüren-Programm des Verlages.
Es gab aber auch eine Vielzahl von wissenschaftlichen Instituten, die in ihrer Ausrichtung andere Ziele vertraten als der MTW, deren Großraumideologie vom Gedanken des wirtschaftlichen Pragmatismus geprägt war. So das 1927 gegründete „Mitteleuropa-Institut“ (MEI) in Dresden, welches sich bis 1939 zu einem politisch orientierten Planungsinstitut für die NS-Großraumwirtschaftsideen entwickelt hatte, oder die 1940 in Wien gegründete Südosteuropa-Gesellschaft (SOEG), die eine industrielle Strukturplanung negierte und stattdessen in ihrer Generalplanung eine Annullierung der Ländergrenzen in Südosteuropa und die die Umwandlung der Länder in Kolonien thematisierte.
Die „Gesellschaft für europäische Wirtschaftsplanung und Großraumwirtschaft e.V.“ (GeWG) wurde 1939 von Werner Daitz, in Dresden gegründet. Diese Gesellschaft hatte die Aufgabe, die im Rahmen der Expansion des NS-Regimes erfolgte Ausdehnung ihres Machtbereichs auf andere europäische Länder durch eine Konzeption der „Neuordnung Europas“ und der Herausbildung von Methoden zur Bildung eines europäischen Großwirtschaftsraums unter deutscher Führung zu untermauern
„Wenn wir den europäischen Kontinent wirtschaftlich führen wollen, wie dies aus Gründen der wirtschaftlichen Stärkung des europäischen Kontinents als Kernraum der weissen Rasse unbedingt erforderlich ist und eintreten wird, so dürfen wir aus verständlichen Gründen diese nicht als eine ‚deutsche‘ Großraumwirtschaft öffentlich deklarieren. Wir müssen grundsätzlich immer nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, technischen Schwergewicht Deutschlands und seiner geografischen Lage. Ebenso wird mit Hilfe unseres deutschen Wirtschaftssystems, wie es durch die nationalsozialistische Revolution geschaffen wurde, sich die Mark bei einer geschickten handelspolitischen Führung ganz von selbst als Standard-Währung durchsetzen“
Werner Daitz in: Errichtung eines Reichskommissariats für Großraumwirtschaft, 1940 – (Werner Carl Otto Heinrich Daitz (1884 – 1945) war seit 1931 Mitglied der Reichsleitung der NSDAP als Berater für wirtschaftspolitische Fragen)
Das Konzept der Bildung einer zollfreien Großraumwirtschaft mit Südosteuropa und der wirtschaftlichen Durchdringung der betreffenden Staaten, die als wirtschaftlicher Ergänzungsraum für den Export deutscher Produkte und für den Import osteuropäischer Rohstoffe, Industrie- und Ölpflanzen dienen sollte, stand seit 1931 fest. Da diese Staaten aber überwiegend noch agrarisch strukturiert waren, konnten diese die deutschen Exporte nur mit ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen bezahlen. Dem standen aber die Interessen der Großagrarier gegenüber, die seit der Reichsgründung auf hohe Schutzzölle für ihre Produkte bestanden. Der MWT setzte sich dafür ein, den Interessengegensatz zwischen den Zollfreiheit wünschenden Exportindustrien und den protektionistischen Großagrariern auszugleichen. Der Lösungsvorschlag wurde unter dem Stichwort „Agrarkartellierung“ bekannt und ab 1933 politisches Programm. Gemeint war eine innerdeutsche Umstrukturierung der klein- und mittelständischen Landwirtschaft während die Privilegien der Großgrundbesitzer nicht angetastet werden sollten. Das bedeutete, das die Erzeugnisse der deutschen Großagrarier, wie Getreide und Futtermittel (Kartoffeln, Mais) weiterhin mit hohen Zöllen geschützt wurden, während die deutsche klein- und mittelbäuerliche Vieh- und Veredelungswirtschaft (Molkerei- und Gartenbauprodukte) in Konkurrenz zu den billigeren Importen aus den Nachbarstaaten treten musste.
Die Agrarkartellierung erzwang beispielsweise die Ablieferung der Milch an Molkereien innerhalb eines festgelegten Einzugsgebietes und es wurden im ganzen Reich Kühlhausanlagen gebaut, um Lagerkapazitäten zur Preisstabilisierung zu entwickeln. Mit ausreichend hohen Festpreisen subventionierte der Staat niedrige Butterpreise und förderte mit Prämien Mehrerzeugung, um eine Versorgungskrise wie im Ersten Weltkrieg zu vermeiden.
„Nach dem Vorbild der industriellen Kartellpolitik sollten jedem Bauern die „Art und Menge seiner Produktion vorgeschrieben werden und der Absatz seiner Produkte auf staatliche Organe oder auf Zwangsgenossenschaften übertragen werden.“ Mit anderen Worten: Den kleinen und mittleren Bauernhöfen musste „die Freiheit ihrer Interessenvertretung genommen werden.“
Mitteleuropäischer Wirtschaftstag
Dies wäre in der Weimarer Republik, wo sich 1926 beim Volksentscheid zur „Enteignung der Fürstenvermögen“ – bei relativ hoher Beteiligung der Landbevölkerung – 14,4 Millionen Menschen für die Enteignung aussprachen, sicherlich nicht möglich gewesen. Die Errichtung eines autoritären Regimes in Deutschland, wurde also schon in der Planungsphase 1931/2 als notwendig vorausgesetzt. Erst die Zustimmung des Generalrats der I.G. Farben Ende 1932 zum Programm der Agrarkartellierung setzte diese Strategie mit allen politischen Voraussetzungen und Konsequenzen durch. In diesem Kontext begann die IG ab 1934 – im Rahmen einer Ergänzungswirtschaft für Deutschland – mit dem großflächigen Anbau von Sojabohnen in Südosteuropa, die im großen Stil als Wehrmachtverpflegung Verwendung finden sollten. Im Kontext dieser Wirtschaftsstrategie stieg der deutsche Anteil am Außenhandel Südosteuropas kontinuierlich an. 1933 betrug die Importe von Südosteuropa 18,44%, die der Exporte in die gleiche Region 15,35%. Sie steigerten sich bis 1940 auf 54.01% (Importe) und 46,36% (Exporte). Ab 1936 ging mit der Errichtung der allen Ämtern vorgesetzten Vierjahresplanbehörde der Einfluss des MTW schrittweise zurück und das Konzept der wirtschaftlichen Durchdringung wurde zunehmend durch die Prämissen der Kriegswirtschaft ersetzt.
Der Vierjahresplan wurde in der deutschen Wirtschaft auch als“ I.G. Farben-Plan“ bezeichnet. So erhielt die I.G. Farben zu Beginn des Vierjahresplans von dem 90 % des Gesamtetats umfassenden Chemiebereich den Zuschlag für 72,7 % der Mittel.
1939 wurden mit Ungarn und Rumänien Staatsverträge abgeschlossen, welche den Deutschen Möglichkeiten in der Landwirtschafts- und Industrieplanung erschlossen. Die Verhandlungen mit den beiden Staaten wurden von der Reichsgruppe Industrie (RGI) geführt, während der MTW übergangen wurde. Das Prinzip der Umstrukturierung des südosteuropäischen Raumes nach den Anforderungen der deutschen Wirtschaft wurde weiter betrieben. Insbesondere der I.G.-Farben-Konzern engagierte sich auf dem Gebiet der Beschaffung von rüstungs- und kriegsrelevanten Rohstoffen und der Neuausrichtung dementsprechender Industriezweige. Ein weiterer wichtiger Faktor waren die deutschen Großbanken, die mit der Übernahme von österreichischen und tschechoslowakischen Banken die wichtigsten landwirtschaftlichen Betriebe und Industrieunternehmen in Südosteuropa kontrollierten. Einen Aufschwung erlebte der MTW nochmals mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939. In Erwartung umfangreicher Wirtschaftskooperationen erweiterte sich 1940 die hiesige Organisationsstruktur um ein Kuratorium und mehrere Beiräte. Mit dem Angriff auf die Sowjetunion wurde dann zeitgleich der MTW politisch entmachtet. In einem Vertrag mit der Reichsgruppe Industrie (RGI) im Juli 1941 erklärte sich der MWT bereit, seine gesamte Industrieplanung in Südosteuropa einzustellen und einige Monate später musste der MWT die meisten seiner Fachbeiräte dem neuen Südost-Ausschuss der RGI unterstellen.
LITERATUUR EN VERWIJZIGINGEN
Wikipedia – Werner Daitz
Wikipedia – Mitteleuropäischer Wirtschaftstag
Carl Freytag, Ian Innerhofer, Tamara Scheer: ‘Mitteleuropa’ und ‘Südosteuropa’ als Planungsraum. Deutsche und österreichische Expertisen im Zeitalter der Weltkriege
Volk und Reich Verlag (Berlin, Prag, Amsterdam, Wien)
Peter Longerich: „Propagandisten im Krieg: Die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop“ – 1987
Joachim Drews: „Die „Nazi-Bohne“ – Anbau, Verwendung und Auswirkung der Sojabohne im Deutschen Reich und Südosteuropa 1933 – 1945″ – 2002
Afbeeldingen: bron