NS-Wirtschaft und Großraum – 6


 

Vorbereitungen auf die Nachkriegsordnung und deren tatsächliche Realisation

 

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Der Krieg brachte den von den Deutschen besetzten westeuropäischen Industriestaaten die Methoden eines straff durchstrukturierten Kapitalismus, der den Anforderungen der Kriegslogistik gehorchte. Diese wurden bei der Rationierung der Rohstoffe, bei der Zentralisierung der Auftragsplazierung beim Ein- und Verkauf, sowie bei der Standardisierung der Produktion angewendet. Nach vier Jahren deutscher Verwaltung wiesen die Produzentenvereinigungen Frankreichs und der anderen Länder ähnliche Strukturen auf, die mit den Produzentensyndikaten an der Ruhr vergleichbar waren, wo diese Entwicklung schon in den Friedensjahren eingesetzt hatte.

„In einem Beitrag zur belgischen Nachkriegswirtschaft schlug der künftige Gouverneur der Société Générale 1942 vor: die zukünftige Entwicklung der Industrie auf die während der Besatzungszeit eingeführten organisatorischen Fortschritte zu gründen; wo es „Konsolidierung“ und „Kartell-Bildung“ gegeben habe, sei in Zukunft langfristige gesamt-industrielle Planung möglich. Tatsächlich blieben die Stellen, die in der Besatzungszeit in Westeuropa für die Zuteilung der Rohstoffe eingerichtet worden waren, nach dem Ende der deutschen Herrschaft bestehen, wobei insbesondere die französischen „Comités d‘ Organisation“ als Kerne neuer „organisations professioneis“ dienten.

„Zur Vorgeschichte der Montanunion – Westeuropas Kohle und Stahl in Depression und Krieg“; John Gillingham; 1986 – PDF-Dokument des Institutes für Zeitgeschichte

Es gab im Wirtschaftsministerium, wie bei der Reichsgruppe Industrie und bei vielen Instituten sehr früh Überlegungen, wie man die wirtschaftliche Nachkriegsordnung gestalten sollte. Im Zeitraum der militärischen Erfolge bis 1941 waren diese geprägt von dem Gedanken eines „germanisch-europäischen Wirtschaftsgroßraumes“ Später dann, unter den Vorzeichen eines verloren gegangenen Krieges, drängten Fragen in den Vordergrund, wie man die Konzerne, die deutsche Wirtschaft insgesamt, strukturell überlebensfähig und wiederaufbauen könnte. Ein zentrales Thema war die enorme Verschuldung durch den 2. Weltkrieg, dessen Kosten man eigentlich – genau wie beim 1. Weltkrieg gedacht – den Verlierern aufbürden wollte. Die deutschen Kriegskosten des 2. Weltkrieges betrugen insgesamt ca. 510 Mrd. RM, die zivilen Reichsausgaben ca. 185 Mrd. RM. Rechnerisch gedeckt wurden diese Kosten zu 5% aus Steuern, durch Gewinne der Staatsunternehmen, durch die Ausbeutung der besetzten Länder und durch eine Neuverschuldung durch Kredite in Höhe von 350 Mrd. RM.

Einer dieser Think Tanks der deutschen Wirtschaft war der 1940 gegründete „Schlotterer-Ausschuss“, benannt nach dem Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium Gustav Schlotterer. Dort kamen, oft unter der Ägide seines Vorgesetzten Walther Funk, Spitzenvertreter der exportorientierten deutschen Großindustrie mit Industriellen und Bankenvertretern aus den Benelux-Staaten ins Gespräch. Dort wurden Konzepte diskutiert wie der innereuropäische Handel von Zoll- und Währungsgefällen befreit und das Ruhrgebiet mit Nordfrankreich und den Benelux-Ländern zu der Keimzelle eines europäischen Wirtschaftsraumes zusammengeführt werden könnten. Als Grundlage wurde – in Hinblick auf bereits funktionierende und im Krieg deutlich effizienter gestaltete Strukturen des europäischen, bzw internationalen Stahlkartells aus der Weimarer Republik – ein privatwirtschaftlich zu organisierendes Produktionskartell unter staatlicher Aufsicht gesehen, das Schlotterer, in Rückgriff auf Ideengeber wie Coudenhove-Kalergi, als „wirtschaftliches Paneuropa“ bezeichnete.

Coudenhove-Kalergi war mit seinem Buch „Pan-Europa“ und der 1924 gegründeten „Paneuropa-Union“, Ideengeber einer europäischen Staatengemeinschaft mit deutlich christlich-konservatives Profil. Die Paneuropa-Union wurde 1933 in Deutschland verboten In den 1930ern wurde der Europagedanke von dem faschistischen Zeitgeist überlagert, der neben Wirtschaftskonzeptionen einen Kulturraum der „weißen Rasse“ propagierte. Nicht nur in Deutschland – vor allem im faschistischen Italien Benito Mussolinis wurden solche Überlegungen befördert. Aber auch die „British Union of Fascists“ um Oswald Mosley, die belgischen Rexisten, sowie die Franzosen Jacques Doriot („Parti Populaire Français“) und Marcel Déat („Rassemblement National Populaire“) entwickelten dazu ihre Ideen. Diese Perspektive wurde oft mit den damals populären sozialrevolutionären Bestrebungen verknüpft. Gerade die beiden erwähnten Franzosen, die ursprünglich aus der radikalen Linken kamen, fanden so ihre ideologischen Anknüpfungspunkte, die sie in die Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht führten.
 
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Das klingt der Argumentation heutiger Rechtpopulisten sehr ähnlich

„Die Zeit ist viel zu groß, so groß ist sie.
Der Zukunft werden sacht die Füße kalt.
Die Zeit ist viel zu groß, so groß ist sie.
Sie wächst zu rasch, es wird ihr nicht bekommen.
Rings in den Wasserköpfen steigt die Flut
und Ebbe wird es im Gehirn.“

In dem Schlotterer-Ausschuss kursierte eine Denkschrift aus der Bankenabteilung des Ministeriums, mit dem Vorschlag nach Kriegsende eine Europabank mit Sitz in Wien zu gründen. Dieser sah vor, dass die Mitgliedsländer des zukünftigen Wirtschaftsgroßraums  zur Notendeckung unverkäufliche Aktien der Europabank erwerben sollten. Diese neue Bank sollte die Deutschen Verrechnungskasse (DVK) als zentrale Verrechnungsstelle ablösen. Ein Verwaltungsrat sollte auf diesem Wege die Währungskurse kontrollieren und überschuldeten Mitgliedsländern Kredite gewähren können.

Juli 1940 stellte Reichswirtschaftsminister Funk die Neuordnungspläne der in- und ausländischen Presse vor: „Es wird auf Grund der bisherigen schon angewandten Methoden des bilateralen Wirtschaftsverkehrs eine weitere Entwicklung zum multilateralen Wirtschaftsverkehr und zu einem Ausgleich der Zahlungssalden der einzelnen Länder kommen, so dass also auch die verschiedenen Länder über eine solche Clearing-Stelle untereinander in geregelte Wirtschaftsbeziehungen treten können“. Noch 1942 warb Reichsbankvizepräsident Emil Puhl für einen europäischen Wirtschaftsraum, in der das bisherige Zentralclearing durch eine gemeinsame Währung und einen durch Bankkredite finanzierten Außenhandel ersetzt werden könne. So weltfremd war diese Idee nicht, sogar der führende britische Nationalökonom John M. Keynes hielt die Idee eines multilateralen Zentralclearing für  innovativ und formulierte seine Version in der 1943 publizierten Konzeption für eine „Internationale Clearing-Union“ (ICU) aus.

Die ICU sollte eine Grundlage für den Welthandel schaffen und auf der wechselseitigen Verrechnung mithilfe eines weltweiten „Buchgeldes“ beruhen, dem so genannten „Bancor“. Dieser Vorschlag scheiterte bei der Bretton-Woods-Konferenz im Juli 1944 am Widerstand der USA. Weltfremd war diese Idee, wie gesagt, nicht – aber im Rahmen eines germanischen Großwirtschaftsraumes völlig unrealistisch, da die Konzepte der deutschen Kriegsfinanzierung mit den angestrebten und notwendigen Ausgleich der Handelsbilanzen unvereinbar waren. Sogar wenn man die Dimension der deutschen Kriegsschulden ausblendet, hätte dieser Ausgleich zu einer Abwertung der Reichsmark geführt. Diese inflationäre Entwicklung hätte zu Verwerfungen in der Wirtschaft und Politik im Inland geführt und die deutschen „Partner“ im Großraum gestärkt, denen aber in der Konzeption der Wirtschaftsplanung größtenteils nur die Rolle von Satelliten-Staaten zugedacht wurde.

Neben dem Außenhandelsausschusses der Reichsbank, wo alliierten Währungspläne für die Nachkriegszeit bereits ab Juni 1943 diskutiert wurden, gab es eine Reihe weiterer Gremien, die sich mit der politischen und wirtschaftlichen Nachkriegsordnung beschäftigten. Dazu gehörten u.a. Abteilungen der Reichgruppe Industrie unter der Leitung von Wilhelm Zangen, wie die Abteilung „Kartelle und Wettbewerb“, bei dem der spätere Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium Roland Risse mitwirkte. Der spätere Geschäftsführer der Berliner Industrie- und Handelskammer Bernhard Skrodzki untersuchte zu dieser Zeit als Leiter der Rohstoffabteilung, die Möglichkeiten der Rohstoffversorgung nach dem verlorenen Krieg. Günter Keiser, später ebenfalls Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium und dann stellvertretender Generalsekretär der „Europäischen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit“ in Paris, befasste sich mit Maßnahmen zum Wiederaufbau des Bankenwesens. Karl Albrecht, aus dessen Lebenserinnerungen diese Informationen stammen, beschäftigte sich mit Problemen der Rekonstruktion des Außenhandels.

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Eine weitere Organisation war die 1942 gegründete „Fördergemeinschaft der Reichsgruppe Industrie“. Initiiert wurde die Gründung von Hermann Siemens, der ihr auch als Präsident vorstand. Aus diesem organisatorischen Zusammenhang trat dann Ludwig Erhard (1897 – 1977) hervor, der sich zunächst als Wirtschaftswissenschaftler profilierte. Erhard leitete von 1942 bis 1945 das „Institut für Industrieforschung“, das von der Reichsgruppe Industrie finanziert wurde. Ab Ende 1942 beschäftigte sich Erhard bereits mit der ökonomischen Nachkriegsplanung. 1944 verfasste er die Denkschrift „Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung“, in der er Überlegungen zum Neuaufbau der Wirtschaft nach dem Krieg anstellte und u.a. einen Währungsschnitt empfahl. Aufgrund seiner Tätigkeit und dieser Ausarbeitung entwickelte er sich schon im nationalsozialistischen Deutschland zu einer zentralen Figur in einem Netzwerk von Industrie und Wirtschaftswissenschaftlern. Im Reichswirtschaftsministerium wurde er von Otto Ohlendorf protegiert. Etwa zur gleichen Zeit wurde seitens des I.G. Farben-Konzerns vorgeschlagen, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zu einer Europabank auszubauen, die mit einem sogenannten „Europagulden“ eine Verrechnungseinheit für die beteiligten Währungen bereit stellen sollte.

1947 leitete Ludwig Erhard die Expertenkommission „Sonderstelle Geld und Kredit“ bei der Verwaltung der Finanzen der britisch-amerikanischen Bi-Zone und war in dieser Funktion mit der Vorbereitung der Währungsreform betraut. 1949 versuchte Erhard die Rückgabe der durch die Nazis „arisierten“ Porzellanfirma Rosenthal Porzellan AG an die Familie des Unternehmensgründers Philipp Rosenthal durch Intervention bei den US-Militärbehörden zu verhindern. Erhard hatte einen Beratervertrag mit der Rosenthal AG und erhielt jährlich 12.000 DM. (*) Er war von 1949 bis 1963 Bundesminister für Wirtschaft und von 1963 bis 1966 Bundeskanzler der BRD.

(*) Jürgen Lillteicher: „Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Studie über Verfolgungserfahrung, Rechtsstaatlichkeit und Vergangenheitspolitik 1945–1971“,  Dissertation Universität Freiburg 2002, S. 114

Otto Ohlendorf (1907 – 1951) war SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei und Amtschef (SD-Inland) im Reichssicherheitshauptamt (RSHA).Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften und trat 1925 in die NSDAP und SS ein. Nach einer Anstellung am Institut für Weltwirtschaft in Kiel wurde er 1936 Wirtschaftsreferent beim Sicherheitsdienst (SD). Von 1939 bis 1945 war er Leiter des Amtes III (Deutsche Lebensgebiete) des RSHA. Nach der deutschen Invasion der Sowjetunion 1941 befehligte er bis Juni 1942 die Einsatzgruppe D, die in der Südukraine und im Kaukasus operierte. Die SS-Einsatzgruppen hatten die Aufgabe, die in den eroberten Gebieten lebenden Juden und Zigeuner, sowie den Widerstand zu eliminieren. Ende 1943 wurde Ohlendorf zusätzlich stellvertretender Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium. Dort koordinierte er die Planungen für die Wirtschaft nach dem Krieg. Ohlendorf arbeitete in diesem Sinne auch mit Ludwig Erhard und vielen anderen Wirtschaftsfachleuten zusammen. An die Stelle des bürokratischen Lenkungsapparates müsse im Frieden ein „aktives und wagemutiges Unternehmertum“ treten, so Ohlendorf. Im Rahmen der Nürnberger Prozesse wurde er 1948 zum Tode verurteilt und 1951 hingerichtet.

„Die Vermeidung der Demobilisierungskrise wird die erste große gemeinsame Aktion des Wirtschaftsbündnisses sein. Durch seine Arbeit und seine Erfolge wird es die Notwendigkeit seiner Gründung zu erweisen haben. Für müssige Streitereien über die Fassung von Verträgen und Statuten oder um politische Vorrechte, die ja schließlich doch vor den Geboten des praktischen Lebens keinen Bestand haben, haben wir keine Zeit. Das Bündnis muss sich an seinen Aufgaben bereits bewährt haben, ehe man dazu kommt, sich des langen und breiten über seine Einrichtung zu unterhalten. Sie mag für den Anfang ruhig den Charakter eines Provisoriums tragen, dessen Änderung auf Grund gewonnener Erfahrungen man vorbehalten kann. Solche Provisorien pflegen übrigens in der Regel recht dauerhaft zu sein. Wir können auch darauf vertrauen, dass der Druck eiserner wirtschaftlicher Notwendigkeiten über viele Schwierigkeiten des Anfangs hinweghelfen und das später das Beharrungsvermögen einmal eingelebter Verhältnisse und das Bedürfnis, nach einer Zeit gewaltsamster Erschütterungen in eine Periode ungestörter Entwicklung einzutreten, in gleichem Sinne wirken werden.“

aus der Denkschrift von Richard Riedl „Weg zu Europa. Gedanken über ein Wirtschaftsbündnis Europäischer Staaten“; Kapitel 3 Die nächsten Aufgaben und Ziele des Wirtschaftsbündnisses Europäischer Staaten,  Herbst 1944

aus: „Europastrategien des deutschen Kapitals 1900 – 1945“, Reinhard Opitz (Hg.), Pahl-Rugenstein, 1994, Bonn, Seite 1002
 
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Nach der Niederlage de 3. Reiches leiteten die USA in Westdeutschland vor allem im Bereich der Wirtschaft erstaunlich schnell eine Rekonstruktion ein. Die Vorgaben des sogenannten Morgenthau-Plans, die auf eine drastische Reduzierung und Kontrolle des deutschen Industriepotentials abzielten wurden 1947 zurückgenommen. Im gleichen Zeitraum unternahm der damalige US-Handelsminister Averell Harriman eine Deutschlandreise und forderte in einem Bericht an Präsident Truman ein Ende der Entnazifizierung und der Dekartellisierungspolitik, da nur so die (ehemaligen) Führungskräfte ihre produktiven Aktivitäten wieder voll entfalten könnten, umso eine schnelle Erhöhung der Industrieproduktion, eine wirtschaftliche Erholung und eine Stabilisierung der politischen Situation erreicht werden könne. In diesem Bericht, wie in einer Empfehlung des „Policy Planning Staff“ gleichen Jahres, wurde auf die Bedeutung der deutschen Kohlevorkommen und der Montanindustrie für die Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft  hingewiesen. So bekam Westdeutschland einen zentralen Stellenwert in der us-amerikanischen Marshallplan-Strategie zugewiesen. Anfangs 1947 hielt der spätere Außenminister John Foster Dulles eine vielbeachtete Rede, in welcher er den Gedanken einer europäischen Wirtschaftsförderation propagierte. In den darauf folgenden Verhandlungen zwischen Frankreich und der BRD, die schlussendlich den Grundbaustein für die europäische Montanunion legten, wurden von dem US-Botschafter in Paris, David Bruce und dem us-amerikanischen Hochkommissar für Deutschland, John McCloy, konstruktiv begleitet.

Das „American Committee for a United Europe“ (ACUE) war eine 1948 gegründete US-Organisation zur Förderung eines „freien und vereinigten Europas“. Es förderte aber auch die Blockbildung mit dem Ziel einer westeuropäischen Integration gegen den sowjetischen Ostblock. Stellvertretender Geschäftsführer war Allen W. Dulles. Das Komitee wurde von der Ford Foundation, der Rockefeller-Stiftung und von regierungsnahen Unternehmensgruppen finanziert. Es unterstützte die „European Conference on Federation“, die erstmals im Mai 1948 unter dem Vorsitz von Winston Churchill in Den Haag tagte und an der Parlamentsmitglieder der 16 Empfängerländer des Marshallplans teilnahmen. Es wurde an einem Entwurf für eine Verfassung der Vereinigten Staaten von Europa gearbeitet und im Jahr 1949 der Europarat in Straßburg gegründet. Nachdem das 12,4-Milliarden-Dollar starke Wiederaufbauprogramm des Marshallplans April 1948 vom Kongress der Vereinigten Staaten verabschiedet und am selben Tag von US-Präsident Harry S. Truman in Kraft gesetzt wurde, konstituierte sich in Deutschland im November gleichen Jahres die „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ (KFW). Ihre Aufgabe war es mit dem Startkapital des Europäischen Wiederaufbauprogrammes (European Recovery Program) – eben jenem Marshallplan – den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft zu organisieren. Der erste Vorsitzende des KfW-Verwaltungsrates war Otto Schniewind, sein Stellvertreter  Hermann Josef Abs. Technische Anknüpfungen an die Kriegszeit waren nicht zu übersehen und pragmatisch gewollt. Der Marshallplan zwang die westeuropäischen Empfängerländer zur Rekonstruktion der im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen aufgebauten Arbeitsteilung und zur Reintegration des besiegten Deutschlands – die spätere Wachstumslokomotive des westeuropäischen Wirtschaftsraumes.
 
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„Von erheblicher Bedeutung für den lang anhaltenden Boom der westdeutschen Nachkriegswirtschaft war indes die 1950 auf amerikanischen Druck gegründete Europäische Zahlungsunion (EZU), ein Zusammenschluss mehrerer europäischer Länder unter Einschluss der Bundesrepublik, die durch ein multilaterales Clearingsystem das Problem der so genannten Dollar-Lücke in ihren Volkswirtschaften lösen sollte. Die EZU war ein Instrument des 1948 einsetzenden Marshallplans, der sie finanzierte. Im Unterschied zu den bilateralen Handelsverträgen der NS-Zeit galten hier tatsächlich Prinzipien des multilateralen Clearing, d.h. die Partner waren nicht zum zweiseitigen Ausgleich ihrer Bilanzen gezwungen. Die Clearingzahlungen wurden von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich abgewickelt.“

Thomas Sandkühler: EUROPA UND DER NATIONALSOZIALISMUS

Die amerikanische Europapolitik räumte Großbritannien und der Bundesrepublik jeweils eine Sonderrolle ein und musste sich oft mit französischen Ressistements auseinandersetzen, die ein erstarkendes Deutschland als Konkurrent wahrnahmen. In diesem Zusammenhang fiel die französische Initiative des Schuhmannplans vom Mai 1950 auf fruchtbaren Boden. Durch einen gemeinsamen Kohle- und Stahlmarkt konnte das Konkurrenzprinzip durch Kooperation ersetzt werden und den Planungen der USA, die auf eine schnelle Restauration und eine Gesundung der westeuropäischen Volkswirtschaften setzten, nachgekommen werden. Daraus resultierte die Gründung der „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS), auch Montanunion genannt, mit den Gründungsmitgliedern Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden. Mit diesem europäischen Wirtschaftsverband wurde die Zollfreiheit für Kohle und Stahl durchgesetzt. Er gilt als Keimzelle und Vorläufer der EG und knüpfte an historische Entwicklungen an, die mit der „Internationalen Rohstahlgemeinschaft“ (IRG) ihren ersten Vorläufer hatten.

Der IRG war ein 1926 gegründetes Wirtschaftskartell der kontinentaleuropäischen Stahlindustrie und diente bereits damals – vor allem in Hinblick auf die französisch besetzte Ruhr – als Instrument der Diplomatie und als Vehikel faktischer wirtschaftlicher Integration. Die Stahlindustrien Frankreichs, Belgiens, Luxemburgs, des Saarlands und Deutschlands gründeten unter der Ägide des Luxemburgers Emil Mayrisch und des Deutschen Fritz Thyssen diesen Marktverband, der allerdings im Zuge der Weltwirtschaftskrise 1929 wieder zerfiel. 1933 wurde das Kartell – ausschließlich nur für den Export der beteiligten nationalen Kartellverbände – unter dem Namen Internationale Rohstahlexportgemeinschaft (IREG) neu gegründet. 1935 traten die britischen Stahlproduzenten bei und 1938, nachdem sich die drei größten amerikanischen Stahlproduzenten United States Steel, Bethlehem Steel und Republic Steel (inoffiziell, als rein „informelle“ Mitglieder) angeschlossen hatten, soll das Kartell 90% des internationalen Handels kontrolliert haben. Die deutschen Stahl- und Kohlekartelle kamen zu einer zunehmend intensiveren Zusammenarbeit mit der französischen Eisen- und Stahlindustrie, was sich u.a. im Deutsch-Französischen Vertrag vom Juli 1937 widerspiegelte, durch den die deutsche Koks­kohle zur Hauptkohle für die französische Stahlindustrie wurde. Die Stahlunternehmen des „Comité des Forges“ lieferten im Gegenzug französisches Eisenerz an die deutschen Stahlunternehmen. Das lothringische Stahlkartell „Comité des Forges“ wurde von den Familien de Wendel und Laurent kontrolliert und bildete den Kern einer größer werdenden deutschfreundlichen Industriegruppe in Frankreich, die über eine ganze Reihe von Tageszeitungen, die öffentliche Meinung in diesem Sinne beeinflussten. 1939, mit Kriegsbeginn, hörte das Kartell auf zu existieren, wurde aber in den von Deutschland besetzten Ländern – vor allem zwischen den deutschen, französischen und belgischen Produzentengruppen – im Rahmen der Kriegswirtschaftsplanung restrukturiert.

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„Was wir wollen und wofür wir kämpfen, ist Freiheit der Entwicklung und Sicherung des Bestandes für uns und für die Staaten des europäischen Festlandes, die in diesem Kampfe unsere Bundesgenossen oder doch, wenn zum Teil auch ungewollt, unsere Schicksalsgenossen sind: Schaffung eines auf dem Zusammenschluss freier Nationen begründeten europäischen Großraumes, der die Voraussetzungen für seine wirtschaftliche, politische und kulturelle Behauptung inmitten der anderen Mächte in sich trägt und bereit ist, freundwillig mit allen zusammenzuwirken, die gleiche Bereitschaft auch ihrerseits zeigen.“

aus der Denkschrift von Richard Riedl „Weg zu Europa. Gedanken über ein Wirtschaftsbündniss Europäischer Staaten“; Kapitel 1 Der Weg nach Europa,  Herbst 1944

(Richard Riedl (1865-1944) Diplomat und Fachmann für Wirtschafts- und Handelspolitik in der österreichischen Regierung. Seine Europa-Schrift bildete u.a. die Grundlage für die Ausarbeitung für deutsche Friedens- und Kapitulationsverhandlungen und die deutsche Nachkriegspolitik des geheimen Arbeitsausschusses für Außenwirtschaftsfragen im Reichswirtschaftsministerium / von 08.1944 – 02.1945 Leiter Karl Blessing)

aus: „Europastrategien des deutschen Kapitals 1900 – 1945“, Reinhard Opitz (Hg.), Pahl-Rugenstein, 1994, Bonn, Seite 990 (Notiz Riedel, S.1050, Fußnote 29)
 


LITERATUUR EN VERWIJZINGEN
 

Wikipedia – American Committee on United Europe
Wikipedia – Geschichte der Europäischen Union
Wikipedia – Internationales Stahlkartell
Wikipedia – Ernst Poensgen
 
Thomas Sandkühler: EUROPA UND DER NATIONALSOZIALISMUS – Ideologie, Währungspolitik, Massengewalt – 2012
Robert Grunert: AUTORITÄRER STAATENBUND ODER NATIONALSOZIALISTISCHER GROSSRAUM – „Europa“ in der Ideenwelt faschistischer Bewegungen – 2012
 
John Gillingham: „Zur Vorgeschichte der Montanunion – Westeuropas Kohle und Stahl in Depression und Krieg“ – 1986
 
Hans-Jürgen Schröder: „Marshallplan, amerikanische Deutschlandpolitik und europäische Integration 1947 – 1950“
 
Reinhard Opitz (Hg.): „Europastrategien des deutschen Kapitals 1900 – 1945“ – Pahl-Rugenstein, 1994

 

 

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