Het rechtvaardigen van onrecht

“Geschäftsmann, der den Gang eines Autos wechselt”




Onlangs gaf ik een leestip. In het recente nummer van Blätter wordt een algemeen inleidend deel overgenomen uit het geruchtmakend werk van Thoma Piketty, inmiddels verschenen in een Nederlandse vertaling. In het mei-nummer volgt een tweede deel. Aangezien momenteel slechts gesproken wordt over steun aan en verliezen van kapitaalkrachtigen onder het motto van “onze” economie en nauwelijks over de gevolgen als we op dezelfde voet blijven doorgaan als voorheen, neem ik de vrijheid een eerste gedeelte van dat artikel uit Blätter over te nemen: DIE IDEOLOGIE DER UNGLEICHHEIT.
 
 

Thomas Piketty

ELEMENTE EINES PARTIZIPATIVEN SOZIALISMUS FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT

 

Jede menschliche Gesellschaft muss ihre Ungleichheiten rechtfertigen. Sie muss gute Gründe für sie finden, da andernfalls das gesamte politische und soziale Gebäude einzustürzen droht. So bringt jedes Zeitalter eine Reihe kontroverser Diskurse und Ideologien hervor, um Ungleichheit in der Gestalt, in der es sie gibt oder geben sollte, zu legitimieren und wirtschaftliche, soziale und politische Regeln aufzustellen, die geeignet sind, das gesellschaftliche Ganze zu organisieren. Dieser zugleich intellektuellen, institutionellen und politischen Auseinandersetzung entspringen im Allgemeinen eine oder mehrere herrschende Erzählungen, auf die sich die bestehenden Ungleichheitsregime stützen.

 
In den heutigen Gesellschaften übernimmt diese Rolle vor allem die proprietaristische 1 und meritokratische, den Unternehmergeist beschwörende Erzählung: Die moderne Ungleichheit ist gerecht und angemessen, da sie sich aus einem frei gewählten Verfahren ergibt, in dem jeder nicht nur die gleichen Chancen des Marktzugangs und Eigentumserwerbs hat, sondern überdies ohne sein Zutun von dem Wohlstand profitiert, den die Reichsten akkumulieren, die folglich unternehmerischer, verdienstvoller, nützlicher als alle anderen sind. Und dadurch sind wir auch himmelweit entfernt von der Ungleichheit älterer Gesellschaften, die auf starren, willkürlichen und oft repressiven Statusunterschieden beruhte.

Das Problem ist, dass diese große proprietaristische und meritokratische Erzählung, die im 19. Jahrhundert, nach dem Niedergang der Ständegesellschaften des Ancien Régime, ihre erste Sternstunde erlebte und Ende des 20. Jahrhunderts, nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und dem Triumph des Hyper-Kapitalismus, eine radikale Reformulierung globalen Zuschnitts erfahren hat, immer weniger tragfähig scheint. Sie führt zu Widersprüchen, die in Europa und den Vereinigten Staaten, in Indien und Brasilien, China und Südafrika, Venezuela und dem Nahen Osten gewiss ganz unterschiedliche Formen annehmen. Gleichwohl sind diese verschiedenen, teilweise auch gekoppelten Wegverläufe, die einer je eigenen Geschichte entspringen, zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts immer enger miteinander verbunden. Nur aus einer transnationalen Perspektive werden wir daher die Schwachstellen dieses Narrativs besser verstehen und die Rekonstruktion einer alternativen Erzählung ins Auge fassen können.

Vom Hyperkapitalismus in die nationalistische Abschottung

Tatsächlich sind wachsende sozio-ökonomische Ungleichheiten seit den 1980er und 1990er Jahren in fast allen Teilen der Welt zu verzeichnen. In manchen Fällen haben sie so dramatische Ausmaße angenommen, dass es zusehends schwieriger wird, sie im Namen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen. Zudem gähnt allenthalben ein Abgrund zwischen den offiziellen meritokratischen Verlautbarungen und den Realitäten, mit denen sich die beim Bildungs- und Reichtumserwerb benachteiligten Klassen konfrontiert sehen. Allzu oft dient der meritokratische, das Unternehmertum preisende Diskurs den Gewinnern des heutigen Wirtschaftssystems offenbar dazu, auf bequeme Weise jedes erdenkliche Ungleichheitsniveau zu rechtfertigen, ohne es überhaupt in Augenschein nehmen zu müssen, und die Verlierer ob ihres Mangels an Verdienst, Fleiß und sonstigen Tugenden zu brandmarken. Diese Schuldigsprechung der Ärmsten hat es in früheren Ungleichheitsregimen, die eher die funktionale Entsprechung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im Auge hatten, nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaß gegeben.

Die moderne Ungleichheit zeichnet sich denn auch durch eine Reihe von Diskriminierungspraktiken und ethnisch-religiösen oder den Rechtsstatus betreffenden Ungleichheiten aus, deren gewaltsamer Charakter zu den meritokratischen Ammenmärchen so recht nicht passen will und uns vielmehr in die Nähe der brutalsten Formen vergangener Ungleichheiten rückt, mit denen wir doch nichts gemein haben wollen. Man denke an die Diskriminierung, der Obdachlose oder Menschen einer bestimmten Herkunft und aus bestimmten Vierteln ausgesetzt sind. Oder an die Migranten, die im Mittelmeer ertrinken.

Angesichts dieser Widersprüche und mangels eines neuen glaubhaften universalistischen Gleichheitshorizontes, den wir bräuchten, um uns den wachsenden Herausforderungen zu stellen, mit denen Ungleichheit, Migration und Klimawandel uns konfrontieren, steht zu befürchten, dass mehr und mehr die identitäre und nationalistische Abschottung als große Ersatzerzählung einspringt, wie es schon im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten war und in diesem beginnenden 21. Jahrhundert in den verschiedensten Teilen der Welt abermals zu beobachten ist.

Es war der Erste Weltkrieg, der einen Prozess zunächst des Abbruchs, dann der Neubestimmung jener Globalisierung der Geschäfts- und Finanzwelt in Gang setzte, die zu stark wachsender Ungleichheit in der „Belle Époque“ (1880-1914) geführt hatte – in einer Epoche, die belle allenfalls im Vergleich mit der Entfesselung von Gewalt heißen kann, die auf sie folgen sollte. Schön war sie in Wahrheit bloß für die Besitzenden, und namentlich für den weißen besitzenden Mann. Wenn das heutige Wirtschaftssystem nicht zutiefst verwandelt wird, um es in den einzelnen Ländern, aber auch zwischen ihnen egalitärer, gerechter und nachhaltiger zu machen, dann könnte es sein, dass der fremdenfeindliche „Populismus“ und seine möglichen Wahlerfolge es sind, die sehr bald die hyper-kapitalistische und digitale Globalisierung der Jahre 1990 bis 2020 in einen Zerfallsprozess eintreten lassen.

An der neuen ultra-inegalitären Erzählung, die sich seit den 1980er Jahren durchgesetzt hat, sind die Geschichte und das Desaster des Kommunismus nicht unschuldig. Aber sie ist auch die Frucht der Unkenntnis wie der Zerstückelung des Wissens und hat erheblich dazu beigetragen, den Fatalismus und die identitären Auswüchse zu nähren, mit denen wir es heute zu tun haben. Nimmt man aus einer interdisziplinären Perspektive den Faden der Geschichte wieder auf, so wird es möglich, zu einer ausgewogeneren Erzählung zu kommen, um die Umrisse eines neuen partizipativen Sozialismus für das 21. Jahrhundert zu zeichnen und den universalistischen Horizont einer neuen Ideologie der Gleichheit, des gesellschaftlichen Eigentums, der Bildung, der Wissens- und Machtverteilung zu erschließen. Diese Erzählung ist optimistischer, sie setzt größeres Vertrauen in die menschliche Natur. Aber sie ist auch genauer und plausibler als die überkommenen Erzählungen, weil sie die Lehren beherzigt, die wir aus einer globalen Geschichte ziehen können.

Die Grenze und das Eigentum

Dabei steht insbesondere das politische Regime in Frage, also die Gesamtheit der Regeln, die eine Gemeinschaft definieren und ihr Hoheitsgebiet abstecken, die Mechanismen kollektiver Beschlussfassung und die politischen Rechte ihrer Mitglieder. Darunter fallen die unterschiedlichen Formen politischer Teilhabe und Mitbestimmung ebenso wie die Rolle von Einwohnern und Ausländern, Präsidenten und Versammlungen, Ministern und Königen, Parteien und Wahlen, Kolonialreichen und Kolonien.

Es geht aber auch um die Frage des Eigentumsregimes, das heißt der Gesamtheit der Regeln, die über mögliche Eigentumsformen entscheiden, sowie der Rechtsmittel und Praktiken, die die Eigentumsverhältnisse zwischen den jeweiligen Gesellschaftsgruppen regeln und über die Einhaltung dieser Regeln wachen. Jedes Ungleichheitsregime, jede Ungleichheitsideologie beruht, vereinfacht gesprochen, auf einer Theorie der Grenze und einer Theorie des Eigentums. Auf der einen Seite muss die Frage der Grenze beantwortet werden. Man muss klären, wer Teil der menschlichen und politischen Gemeinschaft ist, der man angehört oder sich anschließt, und wer nicht, auf welchem Gebiet und nach welchen Regeln sie regiert werden will, und wie sich ihre Beziehungen zu anderen Gemeinschaften innerhalb einer umfassenden menschlichen Gemeinschaft (die je nach Ideologie mehr oder weniger als solche anerkannt wird) organisieren lassen. Es geht dabei um die Frage des politischen Regimes, aber ihre Beantwortung schließt auch eine unmittelbare Antwort auf die Frage der sozialen Ungleichheit ein, zuallererst jener, die Staatsangehörige von Ausländern trennt.

Auf der anderen Seite muss die Frage nach dem Eigentum beantwortet werden. Kann man andere Individuen besitzen? Oder Anbauflächen, Immobilien, Unternehmen, natürliche Ressourcen, Erkenntnisse, finanzielle Vermögenswerte, die Staatsschulden? Nach welchen praktischen Modalitäten und auf der Grundlage welches Rechtssystems, welcher Rechtsprechung kann man die Beziehungen zwischen Eigentümern und Nichteigentümern regeln und dafür sorgen, dass sie aufrechterhalten werden? Diese Frage des Eigentumsregimes hat, wie die des Bildungs- und Steuerregimes, einen gestaltenden Einfluss auf soziale Ungleichheiten und ihre Entwicklung.

Wer hat die Macht – und wer das Eigentum?

In den meisten frühen Gesellschaften sind die Fragen des politischen Regimes und des Eigentumsregimes – oder anders gesagt: die Frage der Macht über Personen und die Frage der Macht über Sachen (das heißt über Eigentumsgegenstände, die mitunter, im Fall der Sklaverei, Personen sein können, in jedem Fall aber einen bestimmenden Einfluss auf Machtverhältnisse zwischen Personen haben) – unmittelbar miteinander verknüpft. Ganz offensichtlich ist dies der Fall in den Sklavenhaltergesellschaften, in denen beide Fragen weitgehend zusammenfallen: Bestimmte Individuen besitzen andere Individuen und sind deren Herren und Besitzer zugleich. Dasselbe gilt, aber in subtilerer Weise, bei den Dreiständeordnungen oder „trifunktionalen“ Gesellschaften, also solchen, die in drei Klassen mit je eigener Funktion aufgeteilt sind: eine klerikale und geistliche Klasse, eine adlige und kriegerische Klasse, eine nichtadelige und arbeitende Klasse. In dieser historischen Form, wie sie in allen vormodernen Zivilisationen zu beobachten ist, sind die beiden herrschenden Klassen unauflöslich zugleich regierende, also mit Hoheitsbefugnissen (Sicherheit, Rechtsprechung) ausgestattete und besitzende Klassen. Über Jahrhunderte war derart der „landlord“ der Herr lebender, auf seinem Land arbeitender Personen so gut wie des Landes selbst.

Die Eigentümergesellschaften, die insbesondere im Europa des 19. Jahrhunderts ihre Blüte erlebten, waren im Gegenteil bemüht, die Frage des Eigentumsrechts (das als universell galt und allen offenstehen sollte) und die der Hoheitsbefugnis (unterdessen Monopol des Zentralstaats) streng voneinander zu trennen. Gleichwohl bleiben politische Ordnung und Eigentumsordnung auch in diesen Gesellschaften eng miteinander verknüpft. Zum einen, weil die Wahrnehmung politischer Rechte lange den Eigentümern vorbehalten war (in politischen Regimen, in denen das sogenannte Zensuswahlrecht galt), und zum anderen, allgemeiner gesprochen, weil zahllose verfassungsrechtliche Vorschriften dafür sorgten (und weiterhin sorgen), einer politischen Mehrheit jede Möglichkeit der legalen und friedlichen Umgestaltung des Eigentumsregimes drastisch zu beschneiden.

So haben die Fragen der politischen Ordnung und die der Eigentumsordnung tatsächlich nie aufgehört, unauflöslich miteinander verknüpft zu sein, von den Dreiständeordnungen und Sklavenhaltergesellschaften über die Eigentümergesellschaften und kommunistischen und sozialdemokratischen Gesellschaften, die sich als Reaktion auf die von den Eigentümergesellschaften gezeitigten Ungleichheits- und Identitätskrisen herausgebildet haben, bis zu den modernen postkolonialen und hyperkapitalistischen Gesellschaften.2


VOETNOTEN
1. Proprietarismus ist für den Autor die Ideologie des Eigentums, dessen Sakralisierung zum obersten Wert in Wirtschaft und Gesellschaft. Der für Piketty zentrale Begriff, propriétarisme, klingt im Französischen, wo der propriétaire als Eigentümer ganz geläufig ist, sehr viel weniger akademisch. Da es dafür im Deutschen keine ebenso eingängige Entsprechung gibt, haben wir uns für das (sperrigere) Fremdwort Proprietarismus entschieden, um damit auch der Neuartigkeit von Thomas Pikettys Thesen Rechnung zu tragen (Anmerkung der Übersetzer).
2. Daher schlage ich vor, diese historischen Veränderungen unter Verwendung des Begriffs des „Ungleichheitsregimes“ zu analysieren, der beide Begriffe, den des politischen Regimes und den des Eigentumsregimes (und weiterhin des Bildungs- und Steuersystems), umfasst und ihre Zusammengehörigkeit deutlicher hervortreten lässt.


BRON
© Blätter für deutsche und internationale Politik


 

 

Uitgelichte foto: PeopleImages / iStockphoto

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